Wilhelm Wagenfeld: Die Form ist nur Teil des Ganzen, Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

„Der Zweck eines Objektes ist zweitrangig“, behauptete der deutsche Designer und Künstler Wilhelm Wagenfeld, „der Gebrauch ist allerdings viel relevanter, er beschreibt die vielfältige Beziehung zwischen Individuen und den Objekten, von denen sie umgeben sind. Aus dem Gebrauch heraus entwickelt sich Kultur, die Überwindung einer vermeintlichen Daseinsberechtigung.“1

Um ihren zwanzigsten Geburtstag zu feiern, zeigt die in Bremen beheimatete Wilhelm Wagenfeld Stiftung derzeit die Ausstellung „Die Form ist nur Teil des Ganzen“. Eine Ausstellung, die nicht nur zeigt, wie Wilhelm Wagenfeld mit der Herausforderung umging, „brauchbare“ Objekte zu entwerfen, sondern die vor allem auch klar macht, dass Wagenfelds Arbeit, oder zumindest ein Großteil davon, heute ebenso zugänglich und zeitgenössisch ist wie damals – weil sich Wilhelm Wagenfeld dieser Herausforderung eben immer wieder mit großem Geschick stellte.

Wilhelm Wagenfeld Die Form ist nur Teil des Ganzen Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen Biography

Wilhelm Wagenfeld: Die Form ist nur Teil des Ganzen im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen

Der am 15. April 1900 in Bremen geborene Wagenfeld wurde zunächst beim Bremer Silberschmied Koch & Bergfeld zum technischen Zeichner ausgebildet, absolvierte seine Ausbildung zum Silberschmied dann aber in Hanau. Im Jahr 1923 trat er der Metallwerkstatt des Bauhauses Weimar bei und zog anschließend mit dem Institut nach Dessau um, wo er 1926 als Assistent eingestellt und 1928 zum Werkstattleiter ernannt wurde. Im Jahr 1930 verließ Wagenfeld das Bauhaus und begann für eine Reihe von Industrieunternehmen als freischaffender Designer und Berater zu arbeiten, so z.B. für das Jenaer Glaswerk Schott, für Rosenthal und für die Vereinigten Glaswerke in Weißwasser – dort leitete er die Kreativabteilung während der Kriegsjahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog Wagenfeld nach Stuttgart, wo er u.a. zusammen mit WMF und Lindner arbeitete, zudem aber auch seine eigene experimentelle Werkstatt, die Werkstatt Wagenfeld, eröffnete. Neben seiner Tätigkeit als Designer war Wagenfeld auch als Autor tätig. Er war Mitbegründer des Designmagazins Form, war ein aktives und lautstarkes Mitglied des Deutschen Werkbundes und unterrichtete an der Hochschule für bildende Künste Berlin. Wagenfeld starb am 28. Mai 1990 in Stuttgart.

Mit „Die Form ist nur Teil des Ganzen“ will die Wilhelm Wagenfeld Stiftung unter Leitung der Stiftungsdirektorin Beate Manske ein neues Bild von Wilhelm Wagenfeld zeichnen, indem seine Arbeit in einem neuen Licht betrachtet wird. „Bisher haben wir nur Ausstellungen gezeigt, die einen Überblick zu Wagenfelds Oeuvre präsentierten“, erklärt Frau Manske, „sie lieferten allerdings keine tiefgründigeren Antworten auf die Frage, warum Wagenfeld ‚tat, was er tat‘. So konnte man nicht gänzlich nachvollziehen, wie Wagenfeld dachte und warum er letztlich einer von Deutschlands erfolgreichsten Produktdesignern wurde.“

Um dem ein Ende zu setzen, präsentiert die Stiftung Wagenfelds Werk anhand von fünf Themenabschnitten. Die Abschnitte „Gebrauch“, „Veränderung des Zeitgeschmacks und Formgebung“, „die Wagenfeld Werkstatt“, „Zusammenarbeit in Fabriken“ und „technische Innovation“  werden jeweils mit relevanten Beispielen von Wagenfelds Arbeit illustriert, dazu kommen originale Skizzen, Prototypen und die Präsentation verschiedenster Entwicklungsphasen von Produkten und Produkttypen. Ein letzter Abschnitt zeigt einen sehr knappen Überblick über Wagenfelds Oeuvre. Dort sind Objekte zu sehen, die während seiner Zeit am Bauhaus entstanden sind und Arbeiten aus seinen kommerzielleren Projekten, die er für einige seiner wichtigsten Klienten, wie die Vereinigten Lausitzer Glaswerke, WMF, Rosenthal und das Jenaer Glaswerk Schott entwickelte.

Neben bekannten Wilhelm Wagenfeld Klassikern wie der Bauhaus Lampe, der Jenaer Glas Teetasse oder dem „Kubus Geschirr“-System zeigt die Ausstellung auch eine Reihe von Stücken, die so banal wie faszinierend sind. Dazu gehört beispielsweise eine Bowleschüssel, die über einen mittigen Glashohlraum verfügt, in den Eis gefüllt werden kann, um die Bowle zu kühlen. Da Eis und Bowle getrennt sind, kann das geschmolzene Eis die Bowle nicht verwässern, und wenn das Eis geschmolzen ist, kann es einfach durch neues ersetzt werden – ziemlich genial! Weitere Ausstellungsstücke sind z.B. Tintenfässchen, eine Apfelreibe, ein Senfbecher mit integriertem Löffel und zahllose Butterdosen. Wie gesagt: banal, aber faszinierend.

Eines der verblüffendsten Objekte der Ausstellung ist „Combi“, eine Verbindung aus Plattenspieler und Radio, die Wilhelm Wagenfeld 1955 für Braun entwickelt hat. Einem Zitat von Erwin Braun in der Ausstellung zufolge war Combi für ihn und seinen Bruder Arthur Braun „die erste Lektion im Produktdesign“. 1956 brachte Braun dann den heute als Klassiker, wenn nicht sogar Ikone geltenden SK4 Platten-/Radiospieler von Hans Gugelot und Dieter Rams raus. Hätten die Brauns beschlossen, bei ihrer „ersten Lektion“ – und Wagenfelds Design – zu bleiben, wäre die Geschichte des deutschen Nachkriegsdesigns wohl völlig anders verlaufen. Und wahrscheinlich würden auch iPads ganz anders aussehen.

Wilhelm Wagenfeld Die Form ist nur Teil des Ganzen Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen Bauhaus

Produkte aus Wilhelm Wagenfelds Zeit am Bauhaus

Was einem in der Ausstellung sofort auffällt, ist die berühmte, fast schon klischeehafte Unscheinbarkeit der Mehrheit von Wagenfelds Arbeiten. Das Geheimnis, mit dem Wagenfeld zu dieser „Weltlichkeit“ fand, ist die Hingabe und Aufmerksamkeit, mit der er seine Produkte entwickelte. Damit ist nicht nur die handwerkliche Herstellung gemeint, sondern vor allem auch Wagenfelds Beobachtungen der Menschen. Er studierte, wie die Menschen Objekte benutzen und überlegte, wie sich die Art und Weise des Gebrauchs in Zukunft ändern würde. Diese Hingabe und Aufmerksamkeit führte gewissermaßen dazu, dass einem die Objekte nicht weiter auffallen, weil sie einfach so natürlich wirken. Für Wilhelm Wagenfeld waren Überlegungen zum Erreichen dieser Unauffälligkeit immer ein Ausgangspunkt in seinem Designprozess. Diese Gedanken formten auch während seiner ganzen Karriere Wagenfelds Verständnis von einer Verantwortung des Designers.

„Die Form ist nur Teil des Ganzen“ macht das sehr deutlich.

Was der Ausstellung nicht so gut gelingt, ist die Person hinter dem Designer zu zeigen. Es wird nicht tiefergehend untersucht, was Wilhelm Wagenfeld antrieb. Dieser Punkt wäre unserer Meinung nach aber ebenso wichtig in einer Ausstellung, die sich vorgenommen hat, den „inneren Kern“ zu erforschen. Einige Aspekte werden zwar kurz angeschnitten, allerdings bleibt die Person Wilhelm Wagenfeld hinter dem Designer bzw. dem Künstler Wilhelm Wagenfeld verborgen. Letztendlich kann aber auch nicht eins vom anderen getrennt werden. Person und Künstler haben sich natürlich gegenseitig beeinflusst. Vergessen werden darf auch nicht, dass Wilhelm Wagenfeld während einiger aufregender, turbulenter und wichtiger Abschnitte in der politischen, kulturellen und sozialen Geschichte Europas aktiv war. Es wäre gut zu wissen, wie sich das auf seine Arbeit auswirkte.

Gerade inspirierend ist die Ausstellung zudem auch nicht. Zumindest nicht von Anfang an.

Kurz gesagt präsentiert die Ausstellung Objekte in Glasvitrinen, beleuchtet von LED Spots, und all das in weißen Räumen. Ein Ausstellungskonzept, das den Objekten ihren Nutzen, den Wagenfeld ihnen so umsichtig verliehen hat, völlig entzieht, und den Eindruck hinterlässt, dass die Form tatsächlich nur ein Teil des Ganzen ist. Aber um fair zu sein – die Präsentation einer Sammlung, die zum Großteil aus Glas und Keramik besteht, wird wohl immer eine kuratorische Herausforderung sein. Zudem muss man sagen, und das ist nur gut gemeint, dass das Wilhelm Wagenfeld Haus nicht besonders geeignet als Museum ist. Die Räume sind zu steril, zu stickig und die Raumaufteilung und Architektur ist so angelegt, dass man fortwährend das Gefühl hat, sich durch einen Flur zu bewegen. Man hat einfach nicht das Bedürfnis, sich in den Räumen länger als irgend nötig aufzuhalten.

Lasst euch aber bitte nicht von dem trockenen Ausstellungsformat abschrecken. „Die Form ist nur Teil des Ganzen“ ist eine wohlüberlegte und gut durchdachte Ausstellung, die bestimmte Aspekte von Wilhelm Wagenfelds Arbeitsansatz sehr gut darstellt und erklärt. Das tut die Ausstellung, ohne den Besucher zu überfordern, und wirkt dabei als eine Art Leitfaden, der erklärt, wie man Produkte entwirft, die ihren Charme, ihren Reiz und vor allem ihren Nutzen über Generationen hinweg beibehalten.

„Wilhelm Wagenfeld: Die Form ist nur Teil des Ganzen“ ist bis zum 28. September im Wilhelm Wagenfeld Haus, Am Wall 209, in 18195 Bremen zu sehen.

Alle Details, wie Öffnungszeiten und Ticketpreise sind unter www.wwh-bremen.de zu finden.

1. nicht hinterlegtes Zitat aus der Ausstellung

 

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