smow Blog kompakt Spezial: Mailand 2015 – Ronan & Erwan Bouroullec

Es war auf jeden Fall einfach großes Glück, und keine besonders gute Planung, dass auf der Mailänder Möbelmesse 2015 alle großen Hersteller der Designs von Ronan und Erwan Bouroullec nebeneinander lagen. Gut für die beiden, denn so mussten sie nicht so weit laufen, um ihre Termine wahrzunehmen. Und auch gut für alle Besucher, denen sich so ein unkomplizierter Überblick über die letzten Arbeiten der Brüder bot.

Ronan und Erwan Bouroullecs relevantester Launch auf der Mailänder Möbelmesse 2015 war ohne Frage der Belleville Chair und die dazugehörigen Tische für Vitra. Benannt nach dem Pariser Vorort, in dem die Designer vermutlich gerne mal vor einem Bistro entspannen, und wo sie das heitere Pariser Treiben, das sich dort vor ihnen ausbreitet, mit Zeichnungen einfangen, kann die Belleville Familie in vielerlei Hinsicht als Ergänzung zur Vitra Standard Collection betrachtet werden. Jedenfalls ist die Kollektion als solches gedacht. Zwar müssen sich die neuen Stücke zunächst einmal beweisen, doch wird das im Falle vom Belleville Chair wohl kein Problem darstellen. Mit dem fließenden schwarzen Polyamid-Rahmen, in den die mit verschiedenen Oberflächenmaterialien erhältliche Sitzschale eingefasst ist, stellt sich der Belleville Chair mit dem simplen eleganten Charme eines Bugholzstuhls als ein sehr zeitgemäßes, fast schon zu offensichtliches, Produkt dar. Neben den mehr angedeuteten als physisch präsenten Armlehnen der Ausführung als Armlehnstuhl, die als köstliches Style-Detail sicher Hans J. Wegner beeindrucken würde, ist das Gewicht das eigentliche Highlight des Belleville Chair. Er ist nämlich weder schwer noch leicht. Er sieht leicht aus, hat aber ein Gewicht, das sich mehr im Sinne seiner Substanz und Bedeutung als seiner Masse ausdrückt, und das dem Stuhl eine Charakterstärke verleiht, mit der er mühelos in ziemlich jeder Situation verwendet werden kann. Alles in allem ein wirklich erfreuliches Stück!

Belleville Chair by Ronan & Erwan Bouroullec for Vitra, as seen at Milan Furniture Fair 2015

Belleville Chair von Ronan & Erwan Bouroullec für Vitra, gesehen auf der Möbelmesse Mailand 2015. Und bald in einem Bistro in Ihrer Nähe …

Auf der Möbelmesse in Mailand 2014 stellten Ronan und Erwan Bouroullec ihre Officina Tische für Magis vor, 2015 wurde die Familie nun logisch durch einen Stuhl und einen Hocker ergänzt. Mit der gleichen Stahlkonstruktion gefertigt, die die Officina Tische zu den Highlights der Mailänder Messe 2014 machten, zeigen die Stühle eine sehr offene, einladende Optik, wenngleich eine  Ähnlichkeit zum Uncino Stuhl nicht von der Hand zu weisen ist. Diesen designten die Bouroullecs 2014 für Mattiazzi und er wurde dieses Jahr nur einen Steinwurf vom Magis Messestand entfernt präsentiert. Die, die uns kennen, werden sich denken können, wie oft wir zwischen den Ständen hin und her gesprungen sind, um die beiden zu vergleichen.

Strukturell mögen die beiden Bouroullec Stühle zwei verschiedene Objekte sein, aber liest man mal zwischen den Zeilen, versteht man die Einfachheit der Konstruktion, ignoriert man die Materialien und konzentriert man sich auf die Form, hat man im Kern das gleiche Objekt. Enttäuschenderweise. Während sicher niemand etwas gegen eine erkennbare Handschrift im Portfolio eines Herstellers hat, sollten sich Designer doch bemühen, ihren Output für verschiedene Hersteller zu variieren, insbesondere wenn sie keine Karikaturen ihres eigenen Erfolges werden wollen. Es gibt natürlich viele Designer, und tatsächlich noch mehr Architekten, die schamlos die gleiche Arbeit wieder und wieder reproduzieren – und die sich genau deswegen erfolgreich selbtvermarkten. Aber das hat natürlich wenig mit Design zu tun.

Das soll nicht heißen, der Officina Stuhl wäre kein ansprechendes Objekt. Er ist dem Uncino einfach sehr ähnlich. Und das finden wir enttäuschend und unnötig.

Ein Beispiel, wie individuell und erfinderisch Ronan und Erwan Bouroullec sein können, zeigt sich auf dem Artek Stand. Den Stand kann man von der Officina Präsentation aus sehen und so unterstreicht er nur noch die Problematik um den Officina Stuhl. Im Zuge der Übernahme Vitras von Artek 2013 begannen eine Reihe ihrer „Hausdesigner“ mit Artek zusammenzuarbeiten. Nach Konstantin Grcics Rival Stuhl und Hella Jongerius‘ Überarbeitung der Aalto Armlehnsessel 400 und 400 aus dem Jahr 2014 wurde die Kaari Kollektion der Bouroullecs 2015 auf der Stockholmer Möbelmesse vorgestellt.

Die Kollektion, bestehend aus Regalen und Tischen in allen denkbaren Größen und Konfigurationen, ist nicht nur von Alvar Aaltos Wandregal 112 inspiriert, sondern ist sich dank seiner frischen, unkomplizierten Ästhetik und einer Reihe von gut proportionierten und durchdachten Objekten, die eindeutig Artek sind, selbst auch genug. Für uns ist das herausstechende Highlight der Kaari Kollektion das Regal-/Schreibtisch-Kombielement, kurz gefolgt von dem freistehenden Schreibtisch, in den die Silhouette von Aaltos klassischem Regal integriert ist – und das ohne eine wirkliche Funktion zu haben. Das ist eine Untergrabung des großen funktionalistischen Designs, die so frech und irrelevant wie effektiv und charmant ist.

Wie wir nicht müde zu wiederholen werden, hat uns Ronan Bouroullec 2010 erzählt, dass sie „weniger und das besser machen wollen“. Seitdem haben wir keinen Hinweis auf das Weniger gefunden, viele Beispiele für Besser jedoch schon, vor allem jedoch ein Design Studio, das, abgesehen von gelegentlichen Blackouts wie bei L’Oiseau oder auch dem neuen Officina Stuhl, regelmäßig interessante, intelligente Projekte realisiert. Dabei gelingt es den Designern immer wieder auf elegante Weise ein kundiges Verständnis der Bedürfnisse von Endkunden mit einem guten Sinn für die richtige Materialwahl zu kombinieren und Objekte zu schaffen, die sowohl funktional sind als auch formal gefallen. Außerdem kann man sagen, sind es Objekte, für die wir gerne auch mal einen etwas längeren Weg über das Mailänder Messegelende auf uns nehmen.

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