Wir müssen mit einem Geständnis einsteigen.
Dieses High Five! ist eigentlich ein High Four!
Das hat nichts damit zu tun, dass es nicht genug tolle Produkte auf der Orgatec Cologne 2016 gegeben hätte, denn davon gab es mehr als genug. Jedoch ist die Orgatec eine Büromöbelmesse, weswegen…
1. … die meisten Hersteller im Grunde genommen die gleiche Produktpalette anbieten. Das Angebot ist homogen: qualitativ hochwertig, allerdings nicht gerade aufregend. Alles typische Büromöbel, welche ganz offensichtlich auf den Geschäftsbereich ausgelegt sind. Ein Grund dafür ist, dass für Großmarkt- und Geschäftskunden Budgetfragen und geschäftliche Beziehungen genauso wichtig sind wie das Produkt selbst. So müssen die Hersteller die ganze Bandbreite abdecken, um einen Markt zu bedienen, der nun mal homogen ist. Die „guten“ Produzenten arbeiten mit Designern zusammen um diesen dabei zu helfen, ihre Produkte in den Bereichen Produktion, Nachhaltigkeit, Lebensdauer und Kosten zu optimieren. Das mögen zwar wichtige Faktoren für all diejenigen sein, die in den Bereichen Fertigungstechnik und Materialkunde arbeiten, führt aber für gewöhnlich nicht zu Produkten, an denen irgendetwas interessant ist außer der Tatsache, dass sie 30 % günstiger produziert werden können, 10 % weniger wiegen, 20 % mehr Schall absorbieren oder geschickter aufeinander gestapelt werden können als die Produkte der Konkurrenz. Klar, das ist in der Branche alles wichtig, lässt die Produkte aber trotzdem nicht gerade bahnbrechend erscheinen.
2. … sich die meisten wirklich interessanten Produkte, solche, die wirklich etwas Neues können, neue Wege gehen und Büro- sowie Objektmöbel weiterbringen, meistens auf eine kleine Anzahl von Herstellern beziehungsweise Ausstellern beschränken. So gab es auf der Orgatec 2016 zwar eine Hand voll Hersteller, von denen wir eine ganze Reihe von Produkten hätten auswählen können, um so unsere fünf voll zu kriegen. Aber diese auf Biegen und Brechen zu erreichen ist ja gar nicht der Punkt: Die fünf ist nicht unantastbar, sondern einfach nur meistens ganz praktisch.
2.1 Einige der interessantesten Produkte auf der Orgatec 2016 haben wir bereits in unserem Post NeoCon Chicago 2016 High Five!! vorgestellt. Und Wiederholungen sind nun mal fürchterlich langweilig.
2.2 Manche Hersteller, welche in Paragraph 2. gepasst hätten, waren gar nicht dort. Wir nennen jetzt keine Namen und wollen auch niemanden an den Pranger stellen, jedoch gab es für unser Verständnis zeitgenössischer Einrichtung doch einige Abwesende. Ehrlich gesagt fast schon ein paar zu viele. So hat sich natürlich auch die Auswahl an Ständen, an denen wir wirklich innovative und interessante Produkte hätten finden können, reduziert. Und so ist es ja fast schon logisch, dass die Anzahl dieser Produkte dieses Mal eben geringer ist.
Aber ein paar gab es dann eben doch. Also Vorhang auf für unsere Orgatec Cologne 2016 High „Five“!
Weniger ein Produkt als vielmehr ein Prototyp, weswegen Cyl eigentlich gar nicht hierher gehört; wir sind uns aber ziemlich sicher, dass er noch ein Produkt werden wird. In unserem Post Vitra Messe 2016 schrieben wir voll des Lobes „Sie hätten gerne einen Aufsteh-Schreibtisch? Bauen Sie einen!“. Wir finden, dass Ronan und Erwan Bouroullecs neues System dies auf den Punkt bringt und gleichzeitig den offiziellen Eintritt von Büromöbeln in das post-digitale Zeitalter markiert. Mal ehrlich: Sie haben doch jegliche Technologie, die Sie brauchen, bereits in Ihrer Tasche – lassen Sie Ihren Schreibtisch doch mal ein wenig atmen…
2011 von Daniel Lorch & Aidin Zimmermann gegründet, hat sich der in Berlin ansässige Hersteller L&Z schnell durch seine selbstbewusste Herangehensweise an Design sowie durch seine Art, sich einen Weg durch den Kitsch, der heutzutage als Design bezeichnet wird, zu bahnen, einen Namen gemacht. Das war allerdings nur in Branchenkreisen der Fall, bei der breiten Masse sind sie noch nicht so recht angekommen.
Unsere Theorie ist ja, dass ihr Portfolio einfach ein bisschen zu begrenzt war. L&Z begannen im Prinzip mit Daniel Lorchs Tischbock und legten 2013 mit ihrem fast schon skandalös wandlungsfähigen Ed Rollcontainer nach. Dann schien es so, als würde das Ganze etwas ins Stocken geraten – jedenfalls bis zur Veröffentlichung des einfach wunderbaren aufrollbaren Papierkorbs/Vorratsbehälters von Michel Charlot 2014.
All das waren exzellente Produkte, welche ihren rechtmäßigen Platz auf dem zeitgenössischen Möbeldesignmarkt einnehmen und diesen bereichern, allerdings doch zu wenige, als dass man den Hersteller auf dem globalen Markt als Marke betrachten würde.
Auf der Orgatec 2016 haben L&Z das richtiggestellt und tatsächlich all diejenigen Dinge präsentiert, die bis dato in ihrem Portfolio gefehlt hatten: ein Stuhlsystem – Glyph von Geckeler Michels; einen Beistelltisch – Beam von Daniel Lorch; Regale – Shadow Play von RelvãoKellermann; Schreibtisch-Accessoires – Uni von Mark Braun sowie eine Leuchte – Help von Rupert Kopp.
Und all das auf die unkomplizierte, unbeschwerte Art und Weise und mit der Fokussierung auf Design, die L&Z definiert und sie so von der breiten Masse der auf der Orgatec vertretenen Produzenten absetzt.
„Ist alles in Ordnung oder hat euch ein spontaner Blutrausch ins Gehirn dazu bewegt, so viele Produkte auf einmal herauszubringen?“ fragen wir Daniel und Aidin.
Die beiden lachen auf eine halb-verlegene Art, die andeutet, dass eine Kombination aus beidem der Fall ist.
Wir hoffen mal, dass das stimmt, denn das ist doch genau das, was die Möbelindustrie heute braucht: Eine junge Firma, die sich mehr für Design als für Modeerscheinungen interessiert, die die Dinge nicht allzu ernst nimmt und die auch bereit ist, mal Risiken einzugehen und damit sogar noch ihren Lebensunterhalt verdienen kann.
Und was noch viel wichtiger ist: Mit ihren neuen Produkten haben L&Z einen ganz entscheidenden Schritt von der Nischenfirma hin zum ernsthaften Mainstream-Hersteller getan.
Das Highlight der neuen Kollektion war dabei für uns die Help Leuchte von Rupert Kopp.
Wenn wir ehrlich sind, und das versuchen wir stets zu sein, haben wir Help einmal als einen sehr, sehr frühen Prototypen im L&Z Hauptquartier gesehen und die Leuchte schon damals gemocht, die Offensichtlichkeit der Idee, welche Rupert zu verwirklichen suchte.
Und so ist es für uns natürlich ganz besonders erfreulich, dass Rupert und L&Z so eine stimmige und ganzheitliche Lösung, die das ganze Potential der ursprünglichen Idee ausschöpft, gefunden haben.
Help ist fast schon banal einfach. Help kann überall hingehängt, auf etwas gestellt, an etwas festgeklemmt oder gegen etwas gelehnt werden. Help kann für direktes oder indirektes Licht genutzt werden, sie kann von oben, von unten, von weit weg oder ganz nah strahlen. Die Leuchte kann in Büros, Wohnungen, Schuppen oder auch Wohnwägen aufgehängt werden. Diese Flexibilität wird durch das 4 Meter lange Kabel der Lampe nochmal verstärkt, durch das man sie auch an die Decke hängen kann – gut, das haben sie jetzt vielleicht auch ein bisschen für die Orgatec zusammenimprovisiert, und man könnte wohl anmerken, dass eine kabellose Lampe die bessere Lösung gewesen wäre. Und das haben wir auch angemerkt. Die Entscheidung zugunsten des Kabels liegt jedoch darin begründet, dass alles so simpel wie möglich gehalten werden, ihre Komplexität auf ein Minimum reduziert werden sollte. Für uns hat sie außerdem den Vorteil, dass man bei einer Leuchte mit Kabel auch nicht vergessen kann, diese aufzuladen, und man so immer Licht haben kann, wenn man es eben braucht oder möchte. Wie gesagt: Banal einfach. Dimmbar. Ästhetisch ansprechend. Und alles in allem eben einfach ein ganz entzückendes Produkt.
Wie wir bereits festgestellt haben, ist die Orgatec eine sehr technische Messe, die sich in vielerlei Hinsicht mit Fragen rund um Anschlussteile, Materialien, Textilien und Systeme und mit Fragen zur Ästhetik beschäftigt – oder zumindest beschäftigen sollte.
Ein hervorragendes Beispiel dafür sowie für die so oft zitierten Herausforderungen, die mit Normen, Standards und Zertifikationsprozessen einhergehen, welche das Design von Büromöbeln so oft dominieren, ist der Stuhl Attenzo des englisch-deutschen Designstudios designstudios für Wilde+Spieth.
Seit 2007 der europäische Standard DIN EN 14703:2007-07 „Möbel – Verbindungselemente für Reihenbestuhlung für den Nicht-Wohnbereich – Festigkeitsanforderungen und Prüfverfahren“ festgelegt wurde, gilt: Überall, wo mehr als 200 Stühle in Reihen zusammenstehen, müssen die Verbindungselemente so entworfen sein, dass die Sitzreihen ihre Stabilität und ihr Widerstandsvermögen beibehalten, wenn sie von vorne nach hinten geschoben werden. Dadurch soll Sicherheit in Paniksituationen gewährleistet werden, die Stuhlreihen sollen also nicht umkippen, unterbrochen werden oder sonst irgendwie ein Hindernis darstellen.
Oder auch: Bla bla bla bla und einfach nur bla.
Gut, für uns vielleicht. Nicht aber für die Architekten und sonstigen Verantwortlichen, die Konferenzräume, Events, Gasträume und ähnliche Locations mit einer großen Anzahl an Stühlen bestücken müssen.
Allerdings ist es so, zumindest laut Wilde+Spieth, und wir wüssten nicht, warum wir deren Aussage anzweifeln sollten, dass es bisher keine Verbindungselemente gab, die mit der DIN-Norm EN 14703:2007-07 konform waren.
Deswegen war es so, dass Wilde+Spieth und designstudios sich bei ihren Gesprächen über eine mögliche Kooperation schnell darüber einig waren, dass es sinnvoller sei, statt noch einem Konferenzstuhl lieber solch ein DIN-konformes Verbindungselement zu entwerfen. Und das hat designstudios dann auch gemacht. Darauf folgte dann der Konferenzstuhl Attenzo, an dem das Verbindungselement angebracht ist, wodurch eine DIN-konforme Anordnung der Stühle möglich wird. Das Verbindungselement fungiert außerdem als Docking-Anschluss für Armlehnen, Tablets und vereinfacht das Stapeln, wodurch der Stuhl überaus flexibel entworfen ist.
Wir wissen, dass 99,9 % von Ihnen jetzt denken „wie bescheuert“… – und wir verstehen das voll und ganz!
Aber das sind eben die Dinge, die in der Büromöbelindustrie von essentieller Bedeutung sind. Und diese klare, langlebige, anpassungsfähige, funktionale, benutzerfreundliche und doch ästhetische Art, gesetzliche Bestimmungen einzuhalten, ist das, worin wir die Innovation von Attenzo sehen. Die Kreation nötigt andere Designer dazu, neue Ansätze beziehungsweise Denkweisen zu erkunden und neue Konzepte zu entwickeln. Das Design treibt außerdem unser Verständnis von Technologie, Produktion und Material voran. Und so gerät es tatsächlich doch zu genau dem Punkt, an dem Büromöbeldesign doch ganz interessant ist.
Konferenz- und Eventstühle brauchen Verbindungselemente. Attenzo ist hierbei der erste einer neuen Generation und ein wunderschönes Stück Designinnovation – auch wenn er nie im Leben auf Instagram viral gehen wird.
Eine der häufigsten Phrasen, die Sie auf Messen wie der Orgatec hören werden, ist, dass ein Produkt feuerfest ist.
A1-, A2-, B1- usw. Zertifizierung, die bestimmt, wo und in welchem Kontext ein Produkt verwendet werden kann. Eine Zertifizierung, die besonders dann wichtig wird, wenn es darum geht, dass ein Objekt in einem Flur oder einem sonstigen Fluchtweg eingesetzt werden soll.
Feuerschutzbestimmungen, die letztlich zur Folge haben, dass die meisten Flure und Fluchtwege entweder gar nicht möbliert oder nur mit Metallmöbelstücken eingerichtet sind.
Mit Pip von Daniel Kern für Richard Lampert ergibt sich eine neue Alternative: eine, die eine neue und ausgesprochen ansprechende, visuelle und formelle Lösung bietet.
Im Grunde handelt es sich bei Pip um ein Plug-and-Play-System mit vertikalen und horizontalen Elementen, welche ganz einfach zu einer Vielzahl von Kombinationen zusammen- und nach Belieben auch wieder auseinandergesteckt werden können. Gepolsterte Kissen und Rückenlehnen sorgen dann noch für den nötigen Komfort.
Aber so praktisch und funktional das Pip System auch ist – für uns ist es sein Material, das es zu etwas Besonderem macht. Optisch passt die Konstruktion eigentlich auch eher in eine Studentenwohnung oder -ausstellung, und zwar aus dem billigstmöglichen Material hergestellt. Es würde aber wirklich einfach furchtbar aussehen, wäre sie aus Metall. Pip besteht aus einer Gipsfaserplatte, einem Material, das sowohl optisch als auch wegen seines Gewichts überzeugt. Es sieht aus wie Stein und schafft so eine ganz neuartige Atmosphäre. Wo auch immer es eingesetzt wird, ergeben sich völlig neue Sinneswahrnehmungen. So, wie Pip auf der Orgatec 2016 präsentiert wurde, umgab es zweifelsohne eine Aura von Terrazzo… Es fühlte sich nicht an, als sei man in einer Messehalle in Köln, sondern in einem Atrium in Mailand. Die Gipsfaserplatte kann darüber hinaus angemalt, beschichtet, furniert oder bedruckt werden und fügt sich so nahtlos in jeden Raum und jedes Corporate-Identity-Farbschema ein.
Neben Material und Einfachheit des flexiblen, anpassbaren Konstruktionsprinzips und dem offenem Charakter, den die Elemente mitbringen, gefiel uns die breite Auswahl verschiedener Oberflächen und die damit einhergehende Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten, die Daniels intelligentes System in petto hat, besonders gut – und das nicht nur im offensichtlichen, vertikalen Kontext, sondern auch im horizontalen. Dank der Tiefe seines Systems ist Pip nicht nur zum Sitzen geeignet, sondern bietet darüber hinaus auch Platz für Taschen, Kleinkinder und deren Spielsachen, Laptops, Koffer oder auch Wombats – was auch immer Ihnen gerade einfällt.
Und da es A2-s1 ausgezeichnet ist, kann es auch überall stehen. Ja, sogar in Fluren oder auf ausgezeichneten Fluchtwegen.
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