smow Blog Designkalender: 22. Januar 1898 – Herzlichen Glückwunsch Ferdinand Kramer!

Der deutsche Architekt und Designer Ferdinand Kramer übertrug nicht nur die neuen Konstruktions- und Designgrundsätze, die in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen aufkamen, in seine Architektur, seine Möbel- und Produktdesigns – er war in diesem Zusammenhang auch ein sehr eloquenter Autor und half, bzw. hilft dabei die Hintergründe funktionalistischer Ideale und all das, was diese Ideale so faszinierend macht, zu verstehen.

The Kramer Principle Design for Variable Use Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main Chair B 403 Thonet

Das Prinzip Kramer: Design für den variablen Gebrauch im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main (2014)

Happy Birthday Ferdinand Kramer!

Der am 22. Januar 1898 in Frankfurt am Main geborene Karl August Friedrich Kramer studierte ursprünglich Architektur an der TU München, bevor er dann 1919 ans Bauhaus Weimar ging. Sein Aufenthalt dort währte allerdings nur wenige Wochen. Es fehlte ein Architekturstudiengang, der diese Bezeichnung auch verdient hätte, und der nach Kramers Meinung seinen Schwerpunkt eher auf angewandte Kunst und handwerkliche Objekte denn auf zeitgenössisches Design legte. Kramer kehrte also nach München zurück um sein Studium abzuschließen, bevor er dann sein eigenes Büro in Frankfurt eröffnete. Im Jahr 1925 wurde Ferdinand Kramer von Frankfurts Baudezernenten Ernst May bei seinem sogenannten Neues Frankfurt Projekt unterstützt: ein ambitioniertes soziales Wohnungsbau- und Wiederaufbauprojekt, das nach Antworten auf die Wohnungskrise der Stadt – und im übertragenen Sinne die zahlreichen europäischen Krisen solcher Art – suchte. Dabei handelte es sich um das erste funktionalistische Stadtplanungsprojekt im größeren Stil. Als Ernst May 1930 Frankfurt gegen Moskau tauschte, blieb Ferdinand Kramer in Frankfurt und arbeitete weiter in seinem eigenen Büro, bevor er dann 1937 von den Nazis als „Entarteter Architekt“ deklariert und mit einem Arbeitsverbot belegt wurde. Das Verbot zwang Ferdinand Kramer nach Amerika zu emigrieren, wo er über den Verlauf der nächsten 14 Jahre zahlreiche Gebäude, Interiordesigns, Möbel- und Produktdesignprojekte realisierte – und den Papierregenschirm Rainbelle. Im Jahr 1952 kehrte Kramer nach Frankfurt zurück, wo man ihn zum Baudezernenten der Universität Frankfurt ernannte, eine Position, die er bis zu seinem Ruhestand 1964 bekleidete. In diesem Kontext war er für das Wiederaufbau- und Erweiterungsprogramm verantwortlich. Im Ruhestand blieb Ferdinand Karmer als Architekt aktiv und wurde 1981 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Stuttgart sowie der TU München ausgezeichnet. Ferdinand Kramer starb am 4.November 1985 in Frankfurt, der Stadt, der er in vielerlei Hinsicht seine Karriere widmete.

Abgesehen von seiner Architektur war Ferdinand Kramer auch ein anerkannter und vielseitiger Produktdesigner. Tatsächlich war er in mehrfacher Hinsicht eher Designer denn Architekt: Ferdinand Kramer sorgte erstmals 1925 mit seinem reduzierten, bezahlbaren, gusseisernen Kramerofen für Aufsehen. Ein Objekt, das seinen Charme in den vergangenen Jahren nicht verloren hat. Ferdinand Kramers erste Möbeldesigns hatten 1927 während der Ausstellung der Weißenhofsiedlung in Stuttgart Premiere, wo sie die Häuser von J. J. P. Oud und Mies van der Rohe zierten. Im Verlauf seiner Karriere folgten zahlreiche weitere Möbelkollektionen, häufig entstanden diese im Kontext von Architekturprojekten, und wurden, wie das bei vielen seiner Zeitgenossen der Fall war, als integrale Systeme konzipiert. Darüberhinaus realisierte Ferdinand Kramer zahlreiche Möbeldesignprojekte mit dem Hersteller Thonet. Am berüchtigsten ist in diesem Zusammenhang zu Recht sein B403 Bugholzstuhl. Im Kontext seiner Laufbahn an der Universität Frankfurt entwarf Kramer hingegen so ziemlich alles – von Möbeln bis hin zu den Aschenbechern.

Heute existieren viele von Kramers Gebäuden leider nicht mehr, und so bleiben uns oft nur Fotografien. Dieses Schicksal teilen auch viele seiner Möbeldesigns, abgesehen von der jüngsten Neuauflage ausgewählter Stücke aus Ferdinand Kramers vielfältigem Oœvre des deutschen Herstellers e15.

Seine Texte bleiben allerdings intakt.

Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer im Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt

Linie Form Funktion. Die Bauten von Ferdinand Kramer im Deutschen Architekturmuseum, Frankfurt (2015)

Ferdinand Kramer – der schriftliche Nachlass

Wenn auch als Autor nicht so erfolgreich wie viele seiner Zeitgenossen, umfassen Ferdinand Kramers Schriften doch mehr oder weniger alle Stadien seiner Karriere. Allein aus den Jahren im amerikanischen Exil ist nichts übrig geblieben. Leider! Es wäre spannend, seinen Gedanken zu Design und Architektur während der Nachkriegszeit in Amerika zu folgen. So ließe sich der Weg der funktionalistischen, modernen Ideale von ihren Anfängen Mitte der 1920er Jahre über ihre Reifung in der Nachkriegszeit bis hin (Dank der herrlichen Nörgeleien Kramers) zur Postmoderne der frühen 1980er Jahre nachvollziehen.

Ferdinand Kramer war kein Geschichtenerzähler. Seine Worte machen die Seiten nicht lebendig, es gibt keine Ausschmückung der Szenerien und keine sich überlagernden Ebenen. Dafür ist sein Stil zu direkt. Allerdings sind es genau diese Geradlinigkeit und dieser Mangel an Wendungen und literarischen Ausschmückungen, die die Angelegenheit so klar und zugänglich machen und die uns einen so konzentrierten Blick auf die Grundsätze seiner Position werfen lassen.

Sachkundigere Designjournalisten würden seinen Schreibstil ohne Frage mit seiner Architektur und Designarbeit vergleichen. Wir würden sagen, seine Texte erklären die theoretische Position, die seiner Architektur und Designarbeit zugrunde lag. Durch die Texte lernt man Kramer nicht nur als „Normierer, Industrialisierer“ und Rationalist kennen, man versteht vielmehr die Faszination für Normierung, Industrialisierung und Rationalisierung in Bezug auf Architektur und Design. Und das vermitteln Kramers Schriften sehr viel besser als die seiner Geschichten erzählenden Zeitgenossen.

Wie immer, wenn man Texte von Architekten und Designern aus vergangenen Epochen liest, erscheint vieles absolut naheliegend und offensichtlich. Man fragt sich „warum schreibst du das – versteht sich doch von selbst“. Als es aber geschrieben wurde, war daran nichts offensichtlich und naheliegend. Tatsächlich ist dies nur der Hilfe der jeweiligen Autoren zu verdanken – denn genau sie erkannten und verstanden die Veränderungen, die sich entweder vollzogen oder, und das ist wohl noch wichtiger, nötig waren, und reagierten auf sie.

Die Tatsache, dass Kramer in der Lage war, so eloquent über diese Themen zu schreiben, hängt damit zusammen, dass er diese Themen auch wirklich verstand. Ja, auch das versteht sich von selbst, aber man versuche über etwas zu schreiben, von dem man wenig bis nichts versteht, bzw. ein größeres Verständnis als das eigentlich vorhandene zu suggerieren – man wird erfahren, wie schwer es ist, einen kohärenten Text zu fabrizieren. Mal ganz abgesehen von einem Text, der auch zig Jahrzehnte später noch kohärent, logisch und gut zu lesen ist. Analog gilt das natürlich auch für Architektur und Design…

Natürlich haben sich einige von Kramers Positionen mit der Zeit als falsch erwiesen, als fehlgeleitet, oder als einfach zu enthusiastisch – nur nimmt ihnen das nicht die Relevanz, denn nur indem wir verstehen, warum Dinge schief laufen, können wir sie besser machen. Und zu diesem Zweck müssen wir sie auch in ihrem originalen Kontext analysieren können.

Zur Feier des Geburtstages einige Zitate, ja sogar weise Worte, Warnungen und Wunder von Ferdinand Kramer. Worte, die in vielerlei Hinsicht so gültig und relevant sind wie damals…

Herzlichen Glückwunsch Ferdinand Kramer!

„Pessac ist durch die Resonanz, die das Projekt in weiten Kreisen gefunden hat, ein wichtiger Fortschritt geworden. Im Gegensatz zu den vielen theoretisierenden Ausstellungen ist hier einmal mit großer Kühnheit ein neuer fruchtbarer Gedanke in die Wirklichkeit umgesetzt worden. Le Corbusier hat in Pessac Pionierarbeit geleistet.“

„Architektur des Auslands. Le Corbusiers Siedlung Frugès in Pessac“ in Stein, Holz, Eisen, Heft 1 1927

„Der Haupteinwand, der gegen die Übertragung solcher Fabrikatonsmethoden auf den übrigen ‚Hausrat‘ erhoben wurde, war ein ästhetischer, besser gesagt ein persönlicher. Jeder soll zu Hause seine Individualität haben, seinem ‚Heim‘ den Stempel seiner Persönlichkeit aufprägen können. Man darf aber mit gutem Recht wohl fragen, ob die Möbel unserer Väter überhaupt in diesem Sinn individuell waren. Was drückten sie zunächst aus? Wiederholungen entliehener historischer Stilelemente. War das die Individualität der letzte Generation oder die Ihrer Ahnen?“

„Individuelle oder typisierte Möbel?“ in Das neue Frankfurt, Heft 1, 1928

„Das Problem der Typisierung liegt in der Standardisierung der Form, beziehungsweise der Verarbeitungselemente. Die individuelle Herstellung und Bearbeitung des Einzelstücks wird zugunsten einer Fabrikation aufgegeben, die in der Serienherstellung präzis durchgearbeiteter Modelle ihr eigentliches Ziel sieht. Dieser Vorgang, dem heute eine besondere Aktualität zukommt, ist nicht nur historisch interessant: er allein erklärt den ungeheuren Absatz, der der Thonetindustrie beschieden war, und er gibt sehr interessante Anhaltspunkte für die weitere Entwicklung der Rationalisierungsaktion in der Möbelindustrie. Das Beispiel Thonet ist umso illustrativer, als es beweist, dass bei bewusster Entwicklung des Fabrikationsgedankens auch Formprobleme gelöst werden, die absolut ästhetische Maßstäbe zulassen.“

„Die Thonetindustrie“ in Die Form Heft 8, 1929 (Es gilt allerdings zu bedenken, dass Kramer zu dieser Zeit mit Thonet zusammenarbeitete…)

„Die Vorteile des Etagenhausbaues liegen auf der Hand. Sie lassen sich unter Umständen in der Form des Appartementhauses, das eine zentralisierte Küche vorsieht, noch vervollkommnen. […] Die Zentralisierung der Bedienung, der Verpflegung, der Wäsche, der Kindererziehung kann nur Vorteile bieten gegenüber den unwirtschaftlichen Einzelhaushaltungen. […] Die Kollektive Lebenskameradschaft zwingt zu einer gegenseitigen Hilfsbereitschaft und Disziplin.“

„Die Wohnung für das Existenzminumum“ in Die Form, Heft 24, 1929

„Die Produktion aller Art Erzeugnisse setzt sich in ihrer Struktur aus Zweck, Material, Arbeit zusammen. Aus diesen drei Faktoren resultiert die Form, die also in ihren Grundzügen nicht frei erfunden ist, sondern ein notwendiges Ergebnis darstellt. Trotzdem wird praktisch häufig die Form rein äußerlich übernommen ohne inneren Zusammenhang mit dem Gestaltungsprozess. Also nicht Neuschöpfung, sondern Plagiat! Eine Gefahr, die immer sehr nahe liegt, wo neuer Stil nach außen sichtbar dokumentiert“

„Die Mitarbeit des Künstlers am Industriellen Erzeugnis“ in Die Form, Heft 8, 1930

„Der Besucher stellt mit Erstaunen fest, dass trotz der Überschwemmung des Markts mit immer sich überbieten wollenden kunstgewerblichen und fabrikatorischen ‚Neuheiten‘, eine Menge praktischer, selbstverständlicher und schöner Gebrauchsgegenstände zu haben sind. Es wäre zu wünschen, dass es eine derartige Übersicht in jeder Stadt gäbe, und die Kunstgewerbemuseen würden sich einer dankbaren Aufgabe unterziehen, wenn sie eine solche Auslese ständig dem Publikum zur Information zugänglich machten.“

„Wohnbedarf“ in Frankfurter Zeitung 21.05.1932, aus Kramers Besprechung der Ausstellung Wohnbedarf, die in Stuttgart am 13. Mai eröffnet wurde. Interessanterweise machte das MoMA mit den Good Design Ausstellungen der 1940er und 1950er Jahre genau, was Kramer hier vorschlug. Insofern hat er dazu beigetragen das legendäre, amerikanische Mid-Century Design der Moderne zu etablieren.

„Durch eine schwere, viel zu schmal ornamentierte Gittertür gelangte man in den Windfang… Der äußere Eingang war überladen mit Säulen und schlechten Skulpturen des Zeitalters des ‚mauvais goût‘. Die Halle hatte im Inneren acht Sandsteinsäulen, die keinerlei statische Funktion erfüllten und ein großes Hindernis für den Verkehr darstellten.“

„Umbau der Universität“ in Bauen und Wohnen, Heft 9, 1954. Hier beschreibt Ferdinand Kramer den neoklassizistischen Eingang zur Universität Frankfurt – bevor er diesen selbst durch eine Konstruktion aus Stahl und Glas ersetzen ließ. Man denunzierte ihn daraufhin bekanntermaßen als „Barbaren“.

„Auch die brennend rote Farbe der Exhaustoren auf dem Dach ist nicht Kunst, sondern Natur – Industrienatur nämlich. Denn das Vinidur, aus dem sie fabriziert sind, hat diese Farbe. Ein ästhetischer Eindruck ist nun da – für manche natürlich ist er negativ. Aber seien Sie versichert: Leicht hätte ein so zweckmäßiges Gebäude ein Ausbund von Hässlichkeit werden können – so wie manche älteren Fabriken. Dass wir dieses Gebäude schön machen wollten, dürfen Sie uns glauben. Nur meinen wir, die Schönheit darf sich niemals der Zwecke schämen und so tun, als hätte sie nichts mit ihnen zu schaffen“

„Rede eine Baumeisters vor Naturwissenschaftlern“ abgedruckt in Bauwelt Heft 32, 1958

„‚Ja, aber wo bleibt die Gemütlichkeit?‘ hörte ich immer noch im Geiste. Zwischen der Schenke ‚Zum Schlagbaum‘ und der ‚Mexicana-Bar‘ steht dieses Haus so wesensfremd. Alte und neue Gemütlichkeit konkurrieren hier um die jungen Leute. Die Sehnsucht nach der Höhle, wie sie die alten Verbindungshäuser in Heidelberg so großartig erfüllen, will die gebrochene, unklare Farbe, lauschige Winkel, da und dort ein Stück antiquiertes Mobiliar oder Tapete, an dem sich der verarmte Zeitgenosse aufranken kann. Das alles vermöchte ich nicht zu bieten. Die Wände sind erbarmungslos weiß, die Betonsäulen und -träger schalungsrauh, nicht einmal abgeschliffen, mit Löchern, wie die Rinde eines Baumes.“

„Wohnen im Studentenheim“ in Bauwelt Heft 17 1959 – Abdruck der Rede Kramers zum Anlass der Einweihung des Studentenheimes Bockenheimer Warte

„Ich hoffe mit diesem Bericht gezeigt zu haben, dass die vielfachen Interpretationen über die Architektur der 20er Jahre, die diese mit dem Schlagwort Funktionalismus für heutige Fehlleistungen verantwortlich machen – nicht zutreffen.

Den Arbeiten jener Zeit fehlten keineswegs psychologische und formalästhetische Aspekte – sie entstanden in einer Zeit größter Not – ohne Nostalgie, aber voller Hoffnung auf die Zukunft“

„Ferdinand Kramer. 50 Jahre Architektur – Bericht aus meinem Leben“ in Der Neue Egoist, 2, 1976

„Grotesk aber erscheint mir die Situation heute zu sein: In der im Verhältnis zur Weimarer Republik schwer reichen Bundesrepublik herrscht wiederum Wohnungsnot, und dramatisch zeichnen sich weltweit Energie- und Ökologie-Krisen, Hungersnot in der 3. Welt, politische und wirtschaftliche Spannungen ab. Dennoch versucht – unberührt von diesen alarmierenden Problemen – der „Post-Modernismus“ die gegenwärtige Architektur zu beherrschen. Wo bleibt unsere heutige, die Jugend überzeugende und mit reißende Avantgarde, die eine für unser aller Überleben notwendige Neuorientierung, eine Umwertung der Werte, in ihrer Architektur verwirklicht.“

„Diese überraschende Ehrung“, unveröffentlichte Rede von Ferdinand Kramer zum Anlass der Ehrendoktorwürde der Universität Stuttgart, 17. Juli 1981, Hans M. Wingler, Ferdinand Kramer, Architektur und Design: Ausstellung im Bauhaus-Archiv, Museum für Gestaltung, Berlin, 9. Dez. 1982 – 23. Jan. 1983

„Zu keinem anderen Zeitpunkt meines turbulent verlaufenden Lebens hätte diese Auszeichnung meiner ehemaligen Technischen Hochschule mich mehr erfreut als jetzt, in meinem Alter und – in der heutigen Situation der ‚Neuen Unsachlichkeit‘, des Post-Modernismus und des pervertierten Funktionalismus“

„Zu diesem Zeitpunkt“ in Bauwelt Heft 14, 1982 – Nachdruck Rede von Ferdinand Kramer anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der TU München.

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