5 Online-Architektur- & Designausstellungen: Teil II

Natürlich würden wir alle Architektur- und Designmuseen viel lieber persönlich besuchen. Die erzwungene Beschränkung auf Online-Angebote bietet jedoch eine ausgezeichnete Gelegenheit, Architektur- und Designmuseen mal anders kennenzulernen. Das heißt nicht nur, den Ausstellungsraum inklusive Shop und Café zu besuchen, sondern mit den Museen und all ihren Sammlungen auf neue, proaktive Art und Weise zu interagieren.

Und auch wenn ein virtueller Besuch einen physischen Besuch niemals wird ersetzen können, so kann er uns doch helfen, unsere Kenntnisse zu vertiefen und zu erweitern. Es handelt sich also auch um eine Möglichkeit, noch mehr aus den physischen Ausstellungsbesuchen, die ganz sicher irgendwann wieder möglich sein werden, zu ziehen.

Unsere Online-Empfehlungen Teil II führen euch von eurem Sofa aus nach Berlin, Hamburg, Bloomfield Hills, Mumbai, München und hoffentlich noch viel weiter…

5 Online-Architektur- & Designausstellungen: Teil II

Bauhaus-Archiv Berlin – Open Archive

Im ersten Teil unserer Empfehlungen für Online-Ausstellungen waren wir der Meinung, dass man das hundertjährige Jubiläum des Bauhaus Weimar 2019 nutzen sollte, um sein Verständnis der Institution zu überdenken. Und während die Stiftung Bauhaus Dessau u. a. mit dem Projekt „Bauhaus Everywhere“ eine nicht unkritische, aber sehr begeisterte Einführung über die facettenreiche Bauhaus-Geschichte liefert, bietet das Offene Archiv des Bauhaus-Archivs Berlin die Möglichkeit, sich Dank weniger vorsortierter Informationen noch offener mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.

Obwohl als Walter-Gropius-Archiv angelegt, ist das Offene Archiv sehr viel mehr. Korrespondenzen, Fotografien und Zeitungsausschnitte von und mit Gropius bilden zwar die zentrale Säule des Offenen Archivs, es handelt sich dabei aber um Materialien, die zu einer besseren Rezeption des Bauhaus‘ in seiner Zeit verhelfen und zudem Einblicke in Gropius‘ Beziehungen zu seinen Bauhaus-KollegInnen und zu DesignerInnen wie Alvar Aalto, Franco Albini oder Charles & Ray Eames gewähren. Zugegebenermaßen handelt es sich um kurze Einblicke. Sie reichen aber aus, um den weiten Kreis herauszustellen, in dem sich Gropius bewegte, und um Anregungen zu geben, auf eigene Faust weiterzuforschen, sobald es die Verhältnisse erlauben.

Über Gropius‘ Wirken hinaus bietet das Offene Archiv des Bauhaus-Archivs Berlin die Möglichkeit, auch das Werk manch eines anderen Bauhäuslers besser nachzuvollziehen und zu verstehen. Es werden zahlreiche auch selten gesehene Werke von Marianne Brandt, Christian Dell oder Marcel Breuer, darunter dessen Kinderbett für die Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927, präsentiert.

Während die Objekte für jeden „lesbar“ sind, ist ein Großteil des schriftlichen Materials auf Deutsch. In Gropius‘ Korrespondenz nach seiner Auswanderung in die USA findet man aber auch zahlreiche Briefe in englischer Sprache, darunter, bizarrerweise, auch Briefwechsel mit seinem Geschäftspartner und Landsmann Konrad Wachsmann. Wachsmann spricht Gropius in diesen Briefen als Pius an. Ist damit „Papst“ gemeint? Wir hoffen es…

Wenn wir beim Thema Sprache eine Beschwerde hätten, dann, dass die Beschriftungen und die Objektbeschreibungen nur auf Deutsch sind, während der Geltungsanspruch des Bauhaus‘ ja eher global ausfällt. Anzumerken wäre auch, dass sowohl die Suchfunktion als auch die Verlinkungen übermäßig spezifisch sind und nur innerhalb eines bestimmten Themenbereichs möglich sind. Allerdings sind das kleine Probleme, die sich leicht überwinden lassen. Das einfache Layout und die leichte Bedienbarkeit sorgen dafür, dass man schnell seinen Weg findet. Einen Weg, der uns hoffentlich zu einem realistischeren Verständnis des Bauhaus‘ führen soll.

Bauhaus Archiv Berlin – Open Archive

Bauhaus Archiv Berlin – Open Archive

Bauhaus-Archiv Berlin – Offenes Archiv

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg – MK&G Studio

Wie wir oft feststellen, ist das Rahmenprogramm einer Ausstellung so wichtig wie die eigentliche Ausstellung selbst. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg bietet mit seinem MK&G Studio in vielerlei Hinsicht ein Rahmenprogramm für seine Online-Sammlung: Es nutzt diese nämlich als Grundlage für eine Reihe von Do-It-Yourself-Handwerksprojekten für Jung und Alt.

Ob man nun Papierblumen, einen Kühlschrankmagneten, ein Schneidebrett oder eines der anderen zehn Projekte, die sich derzeit im MK&G Studio befinden, realisiert – der erste Schritt ist immer ein Besuch der Online-Sammlung des Museums, um dort ein geeignetes Motiv zu finden. Damit betrachten die BesucherInnen die Online-Sammlung mit einem ganz speziellen Zweck, der über die reine Neugierde hinausgeht und einen so zwingt, die Sammlung aus einer anderen Perspektive, als es sonst der Fall wäre, zu betrachten. Man besucht so auch Bereiche, die man ansonsten vielleicht nie freiwillig betreten würde. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, etwas zu entdecken, das für das vorliegende Projekt vielleicht nicht relevant ist, das aber ein neues Interesse weckt und die BesucherInnen in eine ganz neue Richtung führt.

Wenn man sein Motiv gefunden hat, geht es im zweiten, dritten und folgenden Schritt oft um spezielles Material, das man vielleicht nicht sofort zur Hand hat, das man aber beschaffen kann oder für das man einen geeigneten Ersatz finden sollte. Wenn nicht, sollte man das Projekt für die Zukunft aufheben und sich auf die Projekte konzentrieren, für die man alle Materialien zur Hand hat. Lernen sollte man schließlich ein Leben lang und nicht nur ein paar Wochen im Frühjahr 2020.

Präsentiert auf Englisch und Deutsch, sind die Projekte sehr schön, einfach und verständlich in Wort und Bild erklärt und sollen nicht nur für ein wenig Ablenkung sorgen, sondern möglicherweise, so hoffen wir, auch zu mehr Eigenproduktion anregen. Vielleicht handelt es sich also auch um eine gute Motivation, seine Konsumgewohnheiten mal genauer zu überdenken. Was ja keine schlechte Sache ist.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg – MK&G Studio

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg – MK&G Studio

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg – MK&G Studio

Cranbrook Museum of Art – Virtuelle Tour durch „Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living“

„Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living“ wurde bereits in unseren Ausstellungsempfehlungen im Dezember 2019 vorgestellt. Alle, die die Ausstellung in Cranbrook nicht besuchen konnten, haben jetzt die Möglichkeit, dies bequem vom eigenen Sofa/Bett/Liegestuhl aus zu tun. Dass die Ausstellung auch hier auftaucht, soll nicht etwa unsere Auswahl für die Empfehlungen im Dezember 2019 rechtfertigen. Vielmehr ist Ruth Adler Schnee eine Frau, über die ihr mehr erfahren solltet, und „Modern Designs for Living“ ist nicht nur eine Ausstellung, sondern ein Sprungbrett zu ganz anderen Themen.

Wie bei allen virtuellen Museums- und Ausstellungsbesuchen ist das Navigieren durch „Modern Designs for Living“ etwas gewöhnungsbedürftig. Der sehr natürliche Ablauf der Ausstellung und ihr begrenzter Umfang erleichtern diesen Prozess jedoch erheblich: Es handelt sich nicht um eine Präsentation mit diversen Räumen, in der man sich verlaufen kann, sondern eher um eine schöne Vitrine. Das macht sie zu einem Beispiel für die Art von Ausstellung, die sich am besten für eine solche virtuelle Präsentation eignet. Darüber hinaus unterstützt und fördert die Thematik das Seherlebnis: Während Ausstellungen mit Objekten, seien es Möbel, Keramiken oder Skulpturen, eher an der Notwendigkeit scheitern, Objekte auch online von allen Seiten und in 3D zugänglich zu machen, können die Textilien von Ruth Adler Schnee in 2D studiert und genossen werden. Das trifft ebenso auf die Fotos und Pläne zahlreicher Innenarchitektur- und Einrichtungsprojekte von Ruth Adler Schnee zu. Besonders befriedigend ist die Scrollfunktion, die in Verbindung mit dem Vollbildmodus das Lesen der Wandtexte und einiger, wenn auch nicht aller, Objektbeschreibungen ermöglicht. Man kann die Ausstellung nicht nur auf einem Monitor, sondern auch mit einem VR-Headset betrachten.

Die virtuelle Ausstellung ist selbst informativ und unterhaltsam und liefert nicht nur eine zugängliche Einführung in das Leben und Werk von Ruth Adler Schnee, sondern auch weiterführende Gedanken zum amerikanischen Midcentury Design. Allerdings vermissen wir ausgewählte Textilien von Ruth Adler Schnee in der Cranbrook Online-Sammlung. Die Textildesignerin wird in der Online-Sammlung nur sehr, sehr kurz vorgestellt.

Die Online-Sammlung ist aber auch selbst sehr klein. Sie macht nur etwa 125 der 6.000 Objekte des Museums zugänglich. Was ihr im Falle von Ruth Adler Schnee fehlt, macht sie mit einer erfreulich vielseitigen Präsentation von Kunst, Handwerk und Design des 20. und 21. Jahrhunderts wieder wett. Vertreten sind größtenteils KünstlerInnen, KunsthandwerkerInnen und DesignerInnen, die mit Cranbrook in Verbindung gebracht werden. Zu sehen gibt es auch einige frühe Werke von Cranbrook AbsolventInnen aus der Zeit „bevor sie berühmt waren“. Dazu gehören unter anderem Arbeiten von  Harry Bertoia, Charles Eames oder Florence Knoll, sowie einige bekannte und weniger bekannte Werke der Saarinen-Familie (Eliel, Loja, Eva-Lisa und Eero Saarinen).

Cranbrook Museum of Art – Virtual Tour of Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living

Cranbrook Museum of Art – Virtual Tour of Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living

Cranbrook Museum of Art – Virtuelle Tour durch „Ruth Adler Schnee: Modern Designs for Living“

Museum of Design Excellence Mumbai – „Beyond The Throne: The Untold Story of India’s Seats and Chairs“

Es ist zwar allgemein bekannt, wird aber selten offen artikuliert: Wenn man die Geschichte des Designs – in jedem Fall des Möbeldesigns – diskutiert, geschieht dies aus einer ausschließlich euro-amerikanischen Perspektive. Was in Europa und Nordamerika passiert ist, ist entscheidend und wichtig. Was analog in Südamerika, Afrika, Asien, Australasien oder der Antarktis geschah, ist nicht geschehen. Auch wir haben uns dieses Verhaltens schuldig gemacht und würden das niemals öffentlich zugeben.

Mit seinem virtuellen Rundgang durch die Geschichte der Sitzmöglichkeiten und des Sitzens in Indien bietet das, soweit wir feststellen können noch nicht physisch existierende, Museum of Design Excellence Mumbai nicht nur eine leicht zugängliche Einführung zu einem völlig ignorierten Bereich der Möbeldesigngeschichte, es beseitigt auch jede Möglichkeit, die Ignoranz gegenüber nicht euro-amerikanischen Perspektiven zu rechtfertigen. Die Argumente, die die Ausstellung hervorbringt, sind schlagend.

Ausgehend von ca. 2000 Jahre alten buddhistischen, aufrecht sitzenden Skulpturen, markiert die Ausstellung den Beginn einer Sitztradition in der Region um diese Zeit. Die Präsentation führt weiter und diskutiert neben anderen Themen die Ansichten des Astronomen Varahamihira in Bezug auf Möbel, Throne, Schaukeln und den Charpaia – nach Ansicht der Kuratoren eine einfachere, utilitaristischere, demokratischere Form des Diwas. Die Ausstellung beleuchtet darüber hinaus die Bedeutung der verschiedenen politischen Phasen Indiens für die Möbelentwicklung, das heißt auch den Einfluss der niederländischen, portugiesischen und britischen Kolonialherrschaft. Dazu gehört wohl auch die Kolonialisierung durch die Moderne: Indien ist einer der Hauptschauplätze für die Expansion modernistischer Ideen aus Europa und Nordamerika während der Nachkriegszeit. Eine Tatsache, die vielleicht am besten durch Projekte wie das National Institute of Design in Ahmedabad oder Le Corbusiers Chandigarh-Projekt unterstrichen wird.

Die reich illustrierte Online-Ausstellung „Beyond The Throne“ ermöglicht eine leicht zugängliche und verständliche Reise durch 2000 Jahre Möbeldesign in Indien und ist somit ein ausgezeichneter Ort, um mit weiterführenden Erforschungen zu beginnen, einschließlich weiterführender Überlegungen zur Geschichte des Möbeldesigns außerhalb unserer euro-amerikanischen Blase.

Museum of Design Excellence Mumbai – Beyond The Throne: The Untold Story of India’s Seats and Chairs

Museum of Design Excellence Mumbai – Beyond The Throne: The Untold Story of India’s Seats and Chairs

Museum of Design Excellence Mumbai – „Beyond The Throne: The Untold Story of India’s Seats and Chairs“

Neue Sammlung – Design Museum München – Sound of Design

Es handelt sich zwar nicht um eine Ausstellung als solche, aber die App Sound of Design der Neuen Sammlung des Designmuseums München ist so unterhaltsam und informativ wie es jede Ausstellung sein sollte. Die App beinhaltet eine Sammlung von Klängen, die von einer Reihe von Designobjekten ausgehen, dazu gehören unter anderem die Kodak Kamera Brownie No. 2 von Frank A. Brownell, Hans Gugelot & Gerd Alfred Müllers Sixtant SM 31 Elektrorasierer für Braun oder Peter Behrens GB 0 Tischventilator für AEG von 1912. Letzterer erinnert derart an ein Leichtflugzeug, dass man befürchtet, er könnte tatsächlich abheben. Das vibrierende Klappern unterstreicht zudem die oft übersehene Tatsache, die dem Projekt zugrunde liegt: Objekte definieren Räume nicht nur visuell, sondern auch akustisch. Die Geräusche, die Objekte erzeugen, tragen zu unserer Umwelt bei, und mit der Entwicklung von Technologie und Design entwickeln sich auch die Klangwelten, in denen wir leben und arbeiten. Die Schreibmaschine zum Beispiel produzierte einst ein vertrautes Klicken in Büros. Ein Klicken, das durch Computer zum Schweigen gebracht wurde. In ähnlicher Weise wird das vertraute Dröhnen des Automotors aus unseren Städten verschwinden, wenn Elektrofahrzeuge der Normalfall sind. Was bedeutet das für unsere Wahrnehmung städtischer Räume? Während wiederum vor ca. 1900 das Klingeln eines Telefons unbekannt war, ist es heute nicht nur allgegenwärtig, es ist Bestandteil unseres individuellen Selbstausdrucks geworden. Die Klänge des Designs sind also genauso wichtig und relevant wie seine visuellen Aspekte.

Die Idee hinter der App ist natürlich, dass man, wenn man vor dem entsprechenden Objekt in der Neuen Sammlung steht, ausgewählte Geräusche hören kann. Wenn man zum Beispiel vor Max Bill und Ernst Moeckls Küchenuhr Exacta für Junghans steht, kann man nicht nur hören, wie sie tickt (ja, Uhren haben früher getickt), man kann auch den Ton vom Einstellen des Weckers und das Klingeln des Weckers hören. All das ist eine wichtige Erweiterung der Museumserfahrung, denn, wie Hella Jongerius & Louise Schouwenberg in der Ausstellung „Jenseits des Neuen“ in der Neuen Sammlung diskutiert haben, Gebrauchsobjekten wird in Museum ihre Funktionalität abgesprochen, auch wenn sie in erster Linie funktional sind. Indem man die Objekte auch auditiv erfahrbar macht, trägt man dazu bei, sie zumindest wieder als funktionale Objekte zu verstehen.

Wenn man die App außerhalb des Museums vom eigenen Sofa aus benutzt, mag sie ein wenig abstrakt erscheinen – das ist sie auch. Die vorgestellten Objekte stammen aber alle aus sehr bekannten Genres – Autos, Radios, Ventilatoren usw. – von denen wir alle entweder wissen, wie sie aussehen oder schnell ein Bild online finden können. Abgesehen von den Geräuschen einzelner Objekte können wir zudem die Entwicklungen in verschiedenen Genres über die Jahrzehnte hinweg verfolgen. Man entwickelt so ein Verständnis dafür, wie sich die Klanglandschaft, in der wir leben und arbeiten, ständig verändert. Darüber hinaus macht die App vor allem großen Spaß. Das einzige kleine Ärgernis ist, dass die Neue Sammlung anscheinend keine Online-Sammlung hat, weshalb die sehr verlockende Möglichkeit, die vorgestellten Objekte als Ausgangspunkt für weitere Erkundungen zu nutzen, nicht besteht.

Neue Sammlung – The Design Museum München – Sound of Design

Neue Sammlung – The Design Museum München – Sound of Design

Neue Sammlung – The Design Museum München – Sound of Design

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