Meilensteine der smow Blog Office Tour – Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren

Während sich unsere Auffassung bezüglich der Form und Schönheit von Objekten, mit denen wir uns umgeben, ständig weiterentwickelt und verändert, ist unsere Auffassung von Funktionalität im Allgemeinen recht stabil. Zumindest, wenn die jeweilige Funktion einmal benannt und verstanden wurde, und so zur Norm geworden ist. Dieser Prozess lässt sich am sogenannten Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren bestens nachvollziehen.

A Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair Company with tapered back and armrests (Image © and courtesy Brooklyn Museum, Brooklyn)

Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren für die American Chair Company mit sich verjüngender Rückenlehne und Armlehnen  (Bild © und mit freundlicher Genehmigung des Brooklyn Museum)

Vor langer Zeit haben wir mal einen Zeichentrickfilm gesehen, in dem zwei viktorianische Herren neben einer kleinen Dampflokomotive stehen, auf der ein Kerzenhaltertelefon, ein Grammofon und eine große Balgenkamera montiert sind. Der eine Herr fragte den anderen, wer denn ein tragbares Telefon brauche, das Musik abspielen und Fotos machen könne. Etwas in der Art fragen wir uns auch beim Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren: Wer benötigt einen Bürostuhl, der nicht nur einen drehbaren Sitz hat, sondern sich auch frei vorwärts, rückwärts, seitwärts und im Kreis bewegen kann?

Im Jahr 1849 war die Antwort einfach: So wie niemand ein tragbares Telefon benötigte, mit dem man Musik abspielen und Fotos machen konnte, war auch kaum jemand auf einen Centripetal Spring Chair angewiesen. Und so blieb der Centripetal Spring Chair ein relativ kurzlebiger Auswuchs des amerikanischen Möbeldesigns des 19. Jahrhunderts. Das dem Stuhl innewohnende Grundkonzept, die angedachte Funktionalität, sollte ca. ein Jahrhundert später aufgegriffen, erweitert und zur Norm geworden sein. Die Form und der technische Ausdruck fielen jedoch ganz anders aus.

 

US Patent 6740 awarded to Thomas E. Warren on September 25th 1849

US Patent 6740, verliehen an Thomas E. Warren am 25. September 1849

Das Herzstück des Centripetal Spring Chair ist eine von Thomas E. Warren entwickelte C-förmige Stahlfeder, die sich Warren 1849 patentieren ließ. In der Patentanmeldung beschreibt er, dass sich seine Stahlfeder nicht wie die damals üblichen elliptischen Federn unter Druck aufrichtet, streckt und dehnt, sondern sich von einem C zu einem O zusammenrollt und sich schließt. Dadurch, so Warren, sei seine Stahlfeder nicht nur stärker als herkömmliche elliptische Federn, sondern erlaube es, „das Gewicht, mit dem sie [die Stahlfedern] belastet werden können, gleichmäßiger zu tragen, ohne dass es durch plötzliche Stöße zurückgeworfen würde.“1

Diese Federn würden, wenn sie vernünftig zwischen Stuhlfuß und Sitz platziert werden, eine einfache, kontrollierbare Schaukelbewegung in alle Richtungen ermöglichen; sie würden die „Haltungsveränderungen erleichtern, indem sie die Füße des Sitzenden als Drehpunkt nutzen“2 und es dem Stuhl ermöglichen, sich fließend zu bewegen, und zwar auf natürliche Weise, wie als Verlängerung des menschlichen Körpers.

Thomas E. Warren installierte diese Federn bei allen möglichen Stühlen, oder genauer gesagt bei Stühlen, die in ganz unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden konnten. Die Differenzierung der Stuhltypologien war 1849 nicht so fortgeschritten wie heute. Der Centripetal Spring Chair war also weniger der erste multifunktionale Bürostuhl, als der er oft bezeichnet wird, und vielmehr eines der ersten Objekte, das eine Multifunktionalität aufwies, die bei Bürostühlen populär werden sollte.

Das soll aber nicht heißen, dass er nicht für den Gebrauch in Büros gedacht war: Unter den unzähligen Verwendungen, die in jeder Werbung für den Centripetal Spring Chair angeführt wurden, stieß man unweigerlich auch auf das „Büro“. Wobei man bedenken muss, dass das Büro, zumindest das Großraumbüro, Mitte des 19. Jahrhunderts noch in seinen Kinderschuhen steckte. Auch wenn Warren stets hoffte, seine Stühle in größeren Räumen einsetzen zu können, war das Home Office bzw. das Arbeitszimmer ein wahrscheinlicherer Einsatzort für den Centripetal Spring Chair. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Warren vor der Entwicklung seiner Centripetal Spring Chairs und der Gründung der American Chair Company, die sie produzieren und vertreiben sollte, verschiedene Tätigkeiten als Angestellter, Makler und Kaufmann ausübte und somit persönliche Erfahrungen mit kleinen Handelsbüros gesammelt hatte.3

Er wird also um die unausweichlichen Mängel der Sitzmöbel in kleinen Handelsbüros gewusst haben. Nicht uninteressant ist auch, dass Warren offenbar kurzzeitig als Musiklehrer gearbeitet hat, was eine schöne Verbindung zu einem anderen Einsatzbereich der Warren-Feder, nämlich als Bestandteil eines Musik- bzw. Klavierstuhls, herstellt.4

A Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair Company with tapered backrest and no armrests (Image © and courtesy Wolfsonian–FIU, Miami)

Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren für die American Chair Company mit sich verjüngender Rückenlehne und ohne Armlehnen (Bild © und mit freundlicher Genehmigung der Wolfsonian–FIU, Miami)

Neben den Federn sind die anderen drei zentralen Merkmale des Centripetal Spring Chair das gusseiserne Gestell, die Polsterung und die markante Ornamentik.

Ersteres hängt zweifellos mit der damaligen Eisenindustrie in und um Troy, New York, zusammen, wo Thomas E. Warren mit seiner American Chair Company ansässig war. Hinzu kam, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts Eisen immer häufiger als Alternative zu Holz im Möbelbau eingesetzt wurde. Dieser Aufschwung ist wohl darauf zurückzuführen, dass Eisen erstens im Gegensatz zu Holz nicht brennt, sich zweitens im Gegensatz zu Holz in alle möglichen Formen industriell gießen lässt und, dass Eisen drittens im 19. Jahrhundert als modern und zeitgenössisch galt, weil es den Fortschritt verkörperte.

Ein Fortschritt, den nicht alle gutheißen wollten. Eine Werbung aus dem Jahr 1851 für die N.Y. Patent Merchandise Co., die Warrens Stühle verkaufte, hielt es für notwendig, gegen die „irrige Idee zu argumentieren, die in diesem Land vorherrschte, dass Eisenmöbel notwendigerweise grob und ungeschickt und für Haushaltszwecke ungeeignet sein müssen“.5 Bereits hier kündigte sich an, dass ein Teil der Bevölkerung das gebogene Stahlrohr der Zwischenkriegsmoderne wegen seiner vermeintlichen Kälte und Unpersönlichkeit ablehnen würde. Metallmöbel, so scheint es, hatten es schon immer schwer und haben Möbel aus Holz so auch nie ersetzen können.

Im Gegensatz zu den Modernisten, die das Metall zusätzlich betonten, indem sie ihre Werke von jeglicher Polsterung befreiten, schmückte Warren seine Stühle nicht nur mit reichem Samt (womöglich, um dem Vorwurf der Grobheit oder Ungeschicklichkeit zu entgehen), er versteckte auch den Federmechanismus hinter einem Volant. Die brutale Anmutung der Federkonstruktion war offenbar zu viel für die viktorianische Sensibilität und musste diskret verdeckt werden.

Ähnlich umsichtig war auch der Einsatz von Ziergusseisen, eine Form, die Mitte des 19. Jahrhunderts sehr gebilligt wurde. Wie Ellen Marie Snyder treffend beschreibt,6 wurde das Verfahren zur Herstellung von Ornamentgusseisen im Laufe des 19. Jahrhunderts besonders verfeinert, zunächst im Vereinigten Königreich, später in den Vereinigten Staaten. Dank des immer raffinierteren Verfahrens, konnten immer raffiniertere Werke realisiert werden. Werke, die die Verfeinerung des Verfahrens auf die Spitze trieben. So hieß es 1845 im britischen Magazin The Art-Union: „Der hartnäckigste Teil aus dem Reich der Mineralien ist ins Reich des Geschmacks übergegangen“.7 Ornamentgusseisen wurde dementsprechend mit Begeisterung und wo immer man konnte eingesetzt, und so ist es nicht verwunderlich, dass es in allen Versionen des Centripetal Spring Chair eine herausragende Rolle spielt.

A Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair Company as depicted in The illustrated exhibitor, 1851

Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren für die American Chair Company, Abbildung aus The Illustrated Exhibitor, 1851

Somit war der Centripetal Spring Chair in formaler, ästhetischer und materieller Hinsicht ein Werk seiner Zeit, ein durch und durch zeitgenössisches Objekt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ähnliches gilt auch für seine Funktionalität: Der Centripetal Spring Chair ist ein perfektes Beispiel für sogenannte American Patent Furniture. Dabei handelte es sich um Möbel, die eine patentierte mechanische Neuheit enthielten. Eine Möbelgattung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte und die, wie Sigfried Giedion meinte, einen Moment in der Möbelgeschichte kennzeichnet, an dem es hauptsächlich um Bewegung ging.

Giedion stellte fest: „Von etwa 1850 bis 1893 entwickelten die Amerikaner eine schier unerschöpfliche Fantasie, um das Bewegungsproblem für Möbel zu lösen“. Und er fügte hinzu, dass „keine andere Epoche diese Beweglichkeit, diese Anpassungsfähigkeit an den Körper kannte“, und dass die „Patentmöbel“ Komfort durch die aktive Anpassung an den Körper, statt durch passives Zurücksinken in Kissen erzeugen sollten.8 Es handelte sich hier also, wenn man so will, nicht nur um eine Neuinterpretation von Möbeln, Möbelkonstruktionen und der Funktion von Möbeln, sondern auch um eine Neuinterpretation unserer Beziehung(en) zu Möbeln. Verantwortlich dafür waren nicht einfach reine Neugier oder eine abstrakte Laune, sondern, wie Jennifer Pynt und Joy Higgs anmerken, „die Konstruktionsprinzipien, die den patentierten  Polsterstühlen zugrunde lagen, und die mit den damaligen medizinischen Konzepten des gesunden Sitzens übereinstimmten.“9 Ergonomie mag es 1850 bereits gegeben haben, aber die medizinische Meinung war vor allem, dass starres und stilles Sitzen nicht gut für die Sitzenden sind. Die Bewegung beim Sitzen, das Sitzen in wechselnden Haltungen, sollte gefördert werden. Thomas E. Warrens Centripetal Spring Chair war einer der allerersten Stühle, mit dem sozusagen aktiv das Thema des aktiven Sitzens aufgegriffen wurde.

The painted back of a Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair Company (Image © and courtesy Brooklyn Museum, Brooklyn)

Bemalte Rückenlehne eines Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren für die American Chair Company (Bild © und mit freundlicher Genehmigung des Brooklyn Museum)

Zu einem der frühesten dokumentierten Auftritte des Centripetal Spring Chairs kam es auf der Großen Messe des American Institute, der Great Fair of the American Institute im Jahr 1849 in Castle Garden, New York. Der schier endlosen Liste der preisgekrönten Exponate nach zu urteilen10 muss Warrens Stuhl so ziemlich das einzige Exponat gewesen sein, das nicht mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Nicht, dass der Stuhl unbemerkt geblieben wäre: Der Scientific American nannte den Centripetal Spring Chair „eine höchst ausgezeichnete Erfindung“ und bemerkte, dass er von den BesucherInnen „allgemein bewundert“ wurde.11

Diese positive Erwähnung, wird Thomas E. Warren vermutlich zur Kenntnis genommen haben: So verkündete das Magazin Scientific American im November 1850 im Zusammenhang mit einem angeblich ungeplanten Besuch in der Fabrik der American Chair Company in Troy, dass „wir seit einem Jahr zwei von Mr. Warrens patentierten Spring Chairs in unserem Büro haben, und dass wir mit ihnen zufriedener sind als mit allen anderen Stühlen, die wir je gesehen oder benutzt haben.“12

Warren verließ sich jedoch nicht allein auf gute PR, um sein Produkt zu vermarkten. Seine ersten öffentlichen Auftritte mit den Centripetal Spring Chairs fanden womöglich im Wesentlichen auf örtlichen Landwirtschaftsausstellungen statt. 1851 ging er jedoch auf Weltreise und präsentierte seine Stühle auf der Weltausstellung in London, jener ersten Weltausstellung, die so einflussreich für die Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts sein sollte, und von der Warren offenbar hoffte, dass sie sein Geschäft in Gang bringen würde. Im Vorfeld der Veranstaltung erwarb er als Vorsichtsmaßnahme ein britisches Patent,13 zudem war im offiziellen Katalog der Weltausstellung ein Centripetal Spring Chair abgebildet, wofür Warren vermutlich (großzügig) bezahlt haben wird.

Doch trotz seiner Pläne14 brachte die Ausstellung von 1851 nicht den erhofften internationalen Durchbruch. Es finden sich gelegentlich Hinweise auf die Stühle in der Presse jener Zeit. Das The Art Journal stimmte Lobeshymnen auf Form und Funktion an und hielt fest, dass „wir nie ein einfacheres und bequemeres Haushaltsmöbelstück getestet haben.“15

Doch trotz Thomas E. Warrens umfangreicher internationaler PR- und Marketingkampagne, der offensichtlichen Vorteile eines solchen Stuhls für Gesundheit und Wohlbefinden der Sitzenden, der verzierten Gusseisen- und Plüschpolster aus Samt und ihrer Bedeutung für die amerikanischen Patentmöbel waren die American Chair Company und Thomas E. Warrens Centripetal Spring Chairs ab den 1860er Jahren verschwunden.

Wie und warum kam es dazu?

The Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair Company as depicted in the catalogue to the 1851 Great Exhibition in London

Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren für die American Chair Company, abgebildet im Katalog der Londoner Weltausstellung von 1851

Fragen, deren Beantwortung nahezu unmöglich ist, weil es, wie Diane Mary Shewchuk festhält16, so gut wie keine Archivinformationen über die American Chair Company und nur sporadisch Informationen über Thomas E. Warren gibt. Wir verfügen heute gewissermaßen über mehr Centripetal Spring Chairs als über Informationen zu diesen. In die Beantwortung dieser Fragen sollten jedoch die vorherrschenden Ansichten und Entwicklungen der Epoche einbezogen werden, und diese nehmen wieder einmal die Diskussionen des frühen 20. Jahrhunderts vorweg. Eine Debatte über die Vorzüge der industriellen gegenüber der handwerklichen Produktion von Möbeln, zu der auch eine Debatte über die richtige Sitzhaltung gehörte. Unter den vielen Konflikten der viktorianischen Gesellschaft ist eine der interessantesten Diskussionen die um Komfort versus Eleganz. Bei den Patentmöbeln mag „Komfort durch die aktive Anpassung an den Körper, statt durch passives Zurücksinken in Kissen“ erzeugt worden sein, aber war das elegant? War das vereinbar mit dem, was Jennifer Pynt und Joy Higgs als „die soziokulturellen Sitten der Etikette und Ästhetik“ bezeichneten.17

War es schicklich, sich auf seinem Stuhl zu bewegen? Mitte des 19. Jahrhunderts war die herrschende Meinung, dass man sich nicht zu bewegen hatte, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Im Privaten herrschten wie bei so vielem im (viktorianischen) Leben andere Maßstäbe. In der Öffentlichkeit saß man in jedem Fall still und aufrecht und auf einem handgefertigten, gepolsterten Holzstuhl statt auf einem Centripetal Spring Chair.

Warrens Design kann so als Paradebeispiel für die richtige Lösung zur falschen Zeit angesehen werden. Ein Werk, das zwar stets Anhänger hatte, aber immer zu wenige. Das genaue Wie und Warum mag ungewiss sein, fest steht jedoch, dass Thomas E. Warrens Centripetal Spring Chair in der Zeit um 1855 langsam aus dem Blickfeld verschwand.

A Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair with armrests and a quadratic backrest (Image © and courtesy Victoria and Albert Museum, London)

Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren für die American Chair Company mit Armlehnen und einer quadratischen Rückenlehne (Bild © und mit freundlicher Genehmigung des Victoria and Albert Museum, London)

Bevor er dann etwas mehr als ein Jahrhundert später wieder auftauchte…

Genauer gesagt tauchte das dem Centripetal Spring Chair innewohnende Grundkonzept, seine Funktionalität, wieder auf. Nicht nur in Arbeiten wie dem ON-Bürostuhl von wiege für Wilkhahn, sondern in allen möglichen ergonomischen Bürostühlen, die auf vielfältige Weise das einst von Thomas E. Warren möglich gemachte Sitzen in wechselnden Haltungen förderten.

Das frühe 21. Jahrhundert wusste also sehr viel mehr über die Verbindung zwischen Sitzen und Bewegung, als es Giedion für das späte 19. Jahrhundert beanspruchte. Eine Situation, die Sir Henry Cole, eine der führenden Persönlichkeiten hinter der Weltausstellung von 1851, treffend beschrieb, als er sagte, dass die in London präsentierten amerikanischen Industrieobjekte „sich den neuen Bedürfnissen und neuen Entwicklungen der Gesellschaft anpassten.“18 In Bezug auf aktives Sitzen brauchte die Gesellschaft ein wenig Zeit, um diese Bedürfnisse zu verstehen und in eine Norm zu überführen.

Im Jahr 1851 war der Centripetal Spring Chair nicht nur ein Vorläufer des zeitgenössischen Bürostuhls in Bezug auf die Funktionalität, sondern auch in Bezug auf die Besessenheit der Hersteller, Bürostühle in verschiedenen Versionen anzubieten: In einer Anzeige aus demselben Jahr heißt es, er sei in „100 Varianten zu Preisen zwischen 7 und 75 Dollar“ erhältlich.19 Eine Vielfalt, die sich auch heute gut nachvollziehen lässt, da man selten bzw. nie zwei identische Centripetal Spring Chairs sehen wird. Diese Vielfalt zeichnet sich nicht nur durch unterschiedliche Formen, durch Varianten mit und ohne Armlehnen, eine Auswahl an Rückenlehnenformen und eine Reihe von Stoffen aus, sondern auch durch Variationen in der Eisenverzierung. Man machte sich die Entwicklungen bei der Herstellung von Ziergusseisen zunutze, um für jeden Stuhl ein anderes Dekor zu entwickeln. Auf diese Vielzahl an Formen und Preisen will auch die zeitgenössische Bürostuhlindustrie nicht verzichten: Jeder neue Bürostuhl rühmt sich damit, in millionenfachen Varianten erhältlich zu sein.

Auch bei den formalen Überlegungen war Warrens Design in vielerlei Hinsicht ein Vorreiter heutiger Bürostühle. Trotz all seiner für die Mitte des 19. Jahrhunderts typischen Merkmale, entfernte sich der Centripetal Spring Chair auch formal bis zur Ungenauigkeit von vielen Konventionen seiner Zeit. Vor allem bei der Version mit der geformten, leicht gebogenen, sich verjüngenden Rückenlehne handelt es sich um eine formale und konstruktive Entscheidung, die neue Wege im Bereich Polstermöbel geht, und eine viel informellere, offenere Konstruktion aufweist, die den Centripetal Spring Chair von anderen Sitzobjekten unterscheidet.

Damit, so würden wir argumentieren, wurde nicht nur vorweggenommen, welche Relevanz die Form eines Bürostuhls für seine Funktionalität haben würde. Auch die heutige formale Trennung zwischen Bürostühlen und allen anderen Stuhlgattungen hatte hier bereits stattgefunden. Überlegungen, die unterstreichen, dass Thomas E. Warrens Centripetal Spring Chair zwar kein Bürostuhl im engeren Sinne gewesen sein mag, aber als wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Bürostuhl-Designs bezeichnet werden sollte.

1.US Patent 6,740 granted on September 25th 1849

2.Jennifer Pynt and Joy Higgs, Nineteenth-Century Patent Seating: Too Comfortable to Be Moral?, Journal of Design History, Autumn, 2008, Vol. 21, No. 3 pages 277-288

3.see Diane Mary Shewchuk, Thomas E. Warren, the American Chair Company and the Centripetal Spring Chair, MA Thesis, S.U.N.Y. Fashion Institute of Technology, February 1993

4. Another obvious and oft promoted use is/was in railway carriage seating. Here the springs are placed pointing forward and backward so that motion would be more up/down and forward/back than sideways. In addition Thomas E. Warren invented a sprung iron backrest for railway carriage seating (US patent 7,539 30.07.1850) and iron carriages (US Patent 10,142 October 18th 1853)

5.Christian Review, October 1st 1851, page xi

6. Ellen Marie Snyder, Victory over nature: the elevation and domestication of Victorian cast iron seating furniture, MA Thesis, University of Delaware (Winterthur Program), August 1984

7.The Mercantile Value of the Fine Arts, The Art-Union, July 1st 1845, page 223

8. Sigfried Giedion, Mechanization takes command. A contribution to an anonymous history, University of Minnesota Press, Minneapolis, 2013, page 390

9. Jennifer Pynt and Joy Higgs, Nineteenth-Century Patent Seating: Too Comfortable to Be Moral?, Journal of Design History, Autumn, 2008, Vol. 21, No. 3 pages 277-288

10.see Eigth Annual Report of the American Institute of the City of New-York, February 26th 1850

11. Great Fair of the American Institute. No. 3, Scientific American, October 27th 1849 page 45

12. American Chair Manufacturing Company. Scientific American, Vol. 6, No. 10, 23.11.1850, p. 77 The authors claim that, in Troy for an unspecified reason, they were wandering aimlessly around „to see what we might see,“ when all at once, and unexpectedly, they came across Warren’s factory. Yeah. That’s what happened. Yet despite the very obvious PR tone of the text, it is the only known insight into the American Chair Company.

13. UK Patent 13,361 November 21st 1850. Granted not to Warren but John James Greenhough, see Patents for Inventions: Abridgements of Specifications Relating to Furniture and Upholstery 1620-1866, Patent Office, London, 1869, page 155 John James Greenhough was a New York based engineer and patent attorney closely linked with Warren, see Shewchuk for more information

14. According to Benjamin P. Johnson, the agent of the State of New York, appointed to attend the Great Exhibition „the chairs of the American Chiar Company, Troy, are being manufactured in England, and are much esteemed“ [see Report of Benj. P. Johnson, agent of the state of New-York, appointed to attend the Exhibition of the industry of all nations, held in London, 1851] As far as we are aware there is no evidence the chairs were ever made outside Troy, and certainly not that they were made in England, and thus we suspect this was a nugget of misinformation fed to Johnson by Warren in an attempt to raise his chair’s profile. One also notes that the 1860 Chase Brothers & Co.’s illustrated catalogue claims that, „These celebrated Chairs received one of the highest premiums at the World’s Fair London“. They didn’t. Didn’t win any form of award. By 1860 Thomas E. Warren appears to have long since moved on from Troy and chairs and so it is unclear if he had anything to do with the claim.

15.The Art Journal illustrated catalogue: The industry of all nations 1851, page 152

16. Diane Mary Shewchuk, Thomas E. Warren, the American Chair Company and the Centripetal Spring Chair, MA Thesis, S.U.N.Y. Fashion Institute of Technology, February 1993

17. Jennifer Pynt and Joy Higgs, Nineteenth-Century Patent Seating: Too Comfortable to Be Moral?, Journal of Design History, Autumn, 2008, Vol. 21, No. 3 pages 277-288

18. Sir Henry Cole, Fifty years of public work of Sir Henry Cole, K.C.B., accounted for in his deeds, speeches and writings, G.Bell, London 1884, page 252

19. Journal of the Fine Arts, September 15, 1851, page, 42

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