Im Dezember 1969 strahlte der österreichische Fernsehsender ORF ein halbstündiges Porträt des Architekten Hans Hollein aus, in dem unter anderem Holleins Projekt “Mobiles Büro” vorgestellt wurde: eine aufblasbare Plastikblase, in der eine Person sitzen und arbeiten konnte. „Klingt vielleicht etwas verrückt“, so der Moderator.

Bei dem Projekt handelte sich um ein Gerät, bzw. ein Konstrukt, das die Schaffung eines privaten Bereichs inmitten eines öffentlichen Raums ermöglichte. Das war im Jahr 1969 zweifellos eine „etwas verrückte“ Idee.

Wie sieht das im Jahr 2022 aus?

Hans Hollein at work in his Mobile Office under the watchful eye of ORF

In seinem Roman “The Job” aus dem Jahr 1917 beschreibt Sinclair Lewis eine Gruppe von ehrgeizigen, jungen Angestellten, die in den Büros von Pemberton – „der größten Manufaktur für Drogerie- und Toilettenartikel der Welt“ – arbeiten und an „glänzenden, flachen Schreibtischen in Reihen“ sitzen.1

Hier denken Sie jetzt alle wahrscheinlich, ja… und… ???

Heute wird diese Schilderung niemanden mehr beeindrucken, aber 1917 waren ehrgeizige junge Büroangestellte, die an Reihen „glänzender, flacher Schreibtische“ sitzen, vielleicht nicht revolutionär, aber mit Sicherheit eine ziemliche Neuheit. Aus heutiger Sicht sind sie bezeichnend für eine Periode, in der es zu grundlegenden Entwicklungen in den Bereichen Büro, Büroarbeit, Büroangestellte und Bürotischdesign kam. Diese Entwicklungen prägen das Büro und das Design von Bürotischen im 21. Jahrhundert weiterhin.

#officetour Milestones – The Modern Efficiency Desk (Image from Lee Galloway, Office Management. Its Principles and Practice, The Ronald Press Company, 1922)

Es geht uns hier nicht um die Situla (lat. „Eimer“) von Gotofredo selbst, sondern um das, was auf dem kleinen, filigran geschnitzten Elfenbeinobjekt aus dem 10. Jahrhundert abgebildet ist: Die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes schreiben ihre Evangelien, wie wir annehmen, an höhenverstellbaren Pulten.

<em>La Situla del vescovo Gotofredo</em> (photo Dominik Matus via commons.wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Während sich unsere Auffassung bezüglich der Form und Schönheit von Objekten, mit denen wir uns umgeben, ständig weiterentwickelt und verändert, ist unsere Auffassung von Funktionalität im Allgemeinen recht stabil. Zumindest, wenn die jeweilige Funktion einmal benannt und verstanden wurde, und so zur Norm geworden ist. Dieser Prozess lässt sich am sogenannten Centripetal Spring Chair von Thomas E. Warren bestens nachvollziehen.

A Centripetal Spring Chair by Thomas E. Warren for the American Chair Company with tapered back and armrests (Image © and courtesy Brooklyn Museum, Brooklyn)

Wie bereits in einem früheren Blogpost erwähnt, ist die Geschichte des Büros lang und hat ihren Ursprung eher in Funktionen und Personen als in physischen Räumen. Dieses Verständnis entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte immer weiter und die Funktionen und Einzelpersonen wurden allmählich zu Synonymen für den Ort ihrer Tätigkeit. Im Laufe des 19. Jahrhunderts festigte es sich vor dem Hintergrund des aufkommenden Handels, der Industrie und der öffentlichen Verwaltung und führte dazu, dass das „Bürogebäude“ zu einem festen Bereich innerhalb der Architektur wurde. Dieser Aspekt wird stark mit den Wolkenkratzern in Chicago assoziiert und mit den (schicksalhaften) Worten Louis H. Sullivans, der den Ausdruck „Form folgt Funktion, und das ist Gesetz“1 prägte.

Ein Gesetz, Grundsatz, Verständnis, das Sullivans ehemaliger Mitarbeiter und gewissermaßen Schüler, Frank Lloyd Wright, in Form des Larkin Administration Buildings in Buffalo, New York, zu einem Meilenstein der Gestaltung von Bürogebäuden machte.

The Larkin Administration Building by Frank Lloyd Wright in Buffalo New York (photo ca 1906)