Orgatec Cologne 2016: PrintStool by Thorsten Franck for Wilkhahn

In den Medien und der aktuellen Forschung ist der 3D-Drucker omnipräsent, im Alltag der meisten hingegen taucht er kaum auf. Es sei denn es geht um Tablethalterungen, Cosplayaccessoires oder Star-Wars-Schachfiguren. Kurz gesagt: als populäre Beschäftigung führt die 3D-Druckerei ein Nischendasein unter Nerds – und oft ein sehr, sehr triviales. Jedenfalls sind 3D-Drucker nicht allzu weit verbreitet und spielen in kommerzieller und industrieller Hinsicht kaum eine Rolle. Noch nicht! Aber die Zeit wird kommen – da sind wir uns sicher!

Wie das im Kontext der Möbelindustrie aussehen wird ist noch offen, aber mit dem PrintStool haben der Designer Thorsten Franck und der Hersteller Wilkhahn einen großen Schritt in eine interessante Richtung gemacht.

PrintStool by Thorsten Franck for Wilkhahn, here as seen at NeoCon Chicago 2016

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn, hier auf der NeoCon Chicago 2016

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn

Der zum ersten Mal auf der NeoCon Chicago und für ein europäisches Publikum auf der Orgatec Cologne 2016 präsentierte PrintStool ist grundsätzlich nicht mehr als ein klassischer bikonischer Hocker in der Form einer Sanduhr, der in einer Auswahl von geometrischen Mustern erhältlich ist und Dank seiner Form der Bewegung des Nutzers folgt. Die Entscheidung für eine solch klassische Form war dabei nicht wahllos – ganz im Gegenteil: „Mit seiner bikonischen Form hat er eine sehr stabile Struktur“, erklärt Thorsten Franck, „und dennoch eine kleine Oberfläche, was ihn ideal zum Drucken bei geringem Materialaufwand macht.“ Form Follows Function hier also im Sinne von „3D-Drucker-geeignet“. Und Form Follows Function auch insofern, als die äußerliche Dekoration die Stabilität der dünnwandigen Struktur steigert und nicht vorrangig als dekoratives Element gedacht ist.

Die Möglichkeit, das Objekt mit minimalem Materialaufwand zu realisieren ist eine wichtige Komponente von Thorsten Francks Designverständnis: „Da uns heutzutage nur begrenzt Materialien zur Verfügung stehen, müssen wir sie bewusster nutzen. Wir müssen neue Systeme erwägen, neue Materialien. Dank des 3D-Drucks gibt es völlig neue Möglichkeiten, wie Objekte wachsen können“, führt Thorsten weiter aus, „das lässt sich vielleicht mit der Philosophie Frei Ottos vergleichen. Er arbeitete mit gespannten Oberflächen und Dynamik anstatt beispielsweise mit Materialien wie Beton“. Und wie bei Frei Ottos Konstruktionen, die relativ logisch, fast schon offensichtlich wirken, bedurfte auch der PrintStool einer Menge Experimente und Überzeugungsarbeit.

PrintStool by Thorsten Franck for Wilkhahn, here as seen at NeoCon Chicago 2016

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn, hier auf der NeoCon Chicago 2016

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn: Ein Hocker? Ein Konzept?

„Am Anfang hielt jeder die Idee, einen solchen Hocker zu Drucken, für unmöglich“, sagt Thorsten Franck, „und bis heute weiß ich nicht, warum gerade ich daran geglaubt habe, zumal die ersten Versuche alle nach hinten los gingen“. Unbeirrt begann Thorsten mit einem langen Entwicklungsprozess, der technische, formale und konzeptuelle Aspekte einschloss: er war immer wieder gezwungen die Grundlagen des 3D-Drucks in einem industriellen Kontext abzuwägen. „Die ersten Versuche waren klein und sehr fein. Die Industrie aber möchte Produkte, die weiterentwickelt und perfekt sind. Das aber führt zu einer Menge von Problemen bei solch einem 3D-Druckprozess. Und so habe ich beschlossen, alles sehr viel gröber zu machen. Wir versuchen beispielsweise nicht, Produktionsspuren zu vermeiden, alles weich und glatt zu machen. Vielmehr akzeptieren wir, dass der 3D-Druck als industrieller Prozess Spuren des Produktionsprozesses hinterlässt. Das hat alles sehr viel einfacher gemacht“. Hinzu kam die Tatsache, dass, wie Thorsten sagt, „als wir anfingen, die Software noch nicht so weit entwickelt war; die Maschinen waren nicht gerade verlässlich, die Materialien nicht gerade stabil, alles war noch in der Entwicklung. Inzwischen hat sich all das sehr viel weiterentwickelt“.

Könnte man also sagen, dass die Idee vor Material und Technologie fertig war? „Alles hat sich zusammen entwickelt. Warum sollte sich die Technologie weiter entwickeln wenn es kein Material gibt? Und Materialienwiederum brauchen ein Einsatzgebiet, eine Daseinsberechtigung“. Das Endergebnis, der PrintStool, wie er in Chicago und Köln präsentiert wurde, ist allerdings für Thorsten Franck sehr viel elementarer. „Im Grunde haben wir ein System entwickelt, das es beispielsweise erlaubt, einen Hocker zu drucken – es könnte sich dabei aber genauso um einen Tisch, eine Leuchte oder was auch immer man eben benötigt handeln“, fügt er hinzu.

Auch der Wilkahn CEO Jochen Hahne stimmt zu, als wir ihn fragen, was ihm anfänglich so an dem Projekt gefallen hat, und was ihn davon überzeugte, es schließlich zu realisieren? „Es war das Konzept, nicht der Hocker an sich, sondern die Idee dahinter. Mit dem Konzept lässt sich nahezu alles herstellen. Das muss nicht zwangsläufig ein Hocker sein. Als wir uns das erste Mal das Projekt anschauten, las ich unter anderem gerade Jeremy Rifkin*, und alles kam irgendwie zusammen. Es passte einfach, sodass ich entschloss, dass wir dieses Projekt realisieren würden“.

Printing PrintStool by Thorsten Franck for Wilkhahn. A very thin walled structure

Druck des PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn. Eine sehr dünnwandige Struktur…

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn: Ein neues Geschäftsmodell?

Als Produktionsprozess ist der 3D-Druck nicht für alle Möbelgenres geeignet und wird es wohl auch niemals sein (Zumindest nicht in einer Zukunft, von der wir ein Teil sein möchten). In Verbindung mit Open Source Technologie und schnellen Produktionsprozessen wird das Verfahren aber unserer Meinung nach eine unverzichtbare Komponente der zukünftigen Möbelindustrie sein. Nicht zuletzt, weil ein Geschäftsmodell, bei dem Möbel an einem x-beliebigen Ort produziert und danach global transportiert werden – sei es an Geschäfte oder zu den Endkonsumenten – auf lange Sicht nicht nachhaltig ist, und sich nicht länger rechtfertigen lässt. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle. In diesem Kontext hat uns auch das Projekt besonders interessiert, als wir es zum ersten Mal in Chicago gesehen haben. Der Punkt, den wir nämlich nach wie vor spannend finden, ist der, dass das Konzept eine wirklich realistische Chance für dezentrale Produktion bietet.

Mit Streaminganbietern war die Musikindustrie mehr oder weniger gezwungen, sich vom physischen Objekt wegzubewegen. Mit den E-Books hat die Printmedienindustrie zwar etwas mehr die Kontrolle behalten, war aber auch gezwungen das physische Objekt als Produkt zu hinterfragen. Bei den Möbeln erübrigt sich die Frage – Möbel werden zwangsläufig physische Objekte bleiben. Allerdings müssen sie aus so wenig Materialien wie möglich, und vor allem so nah wie möglich am Endnutzer und aus vor Ort gewonnenen Materialien produziert werden. Ein Geschäftsmodell, das sich aus dem Konzept des PrintStools ableiten lässt, würde genau das ermöglichen. Nicht zuletzt aufgrund der Anpassungsfähigkeit, die dem System eigen ist.

Im Gespräch schlägt Thorsten Franck diverse Möglichkeiten vor, wie beispielsweise Objekte vor Ort in Form von Workshops zu produzieren. Büroarbeiter beispielsweise könnten in die Produktion ihrer eigenen Möbel involviert werden; es könnte zentral gelegene Technologiezentren geben, ähnlich der kommunalen Backhäuser von früher, in denen jeder seine Möbel produzieren kann. Jochen Hahne betrachtet die Sache natürlich sehr viel mehr aus Sicht der Möbelindustrie: „wir vertreiben unsere Produkte weltweit. Für mich ist die Idee einer Möglichkeit, die Transportdauer nach Australien von, sagen wir mal, zwölf Wochen, auf zwölf Stunden zu reduzieren, natürlich ausgesprochen verlockend“. Oder für uns auf einer ganz einfachen Ebene: man fährt auf dem Weg zur Arbeit beim Möbelladen vorbei, bestellt einen solchen Hocker in blau mit Muster x. Der Hocker wird gedruckt und kann auf dem Rückweg von der Arbeit einfach abgeholt werden.

Was könnte daran falsch sein?

PrintStool by Thorsten Franck for Wilkhahn, the decoration is not just decoration. Its also provides static strength

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn. Die Dekoration ist nicht nur Dekoration. Sie liefert vor allem die stabile Statik…

PrintStool von Thorsten Franck für Wilkhahn: Zukunftsorientiert

Soweit wir es überblicken können, ist der PrintStool das erste 3D-gedruckte Objekt, das von einem größeren Hersteller realisiert werden soll. So sehr wir Dirk van der Kooijs Arbeit auch mögen, er bleibt ein kleiner, wenn auch erfolgreicher, innovativer und origineller Hersteller. Und auch wenn Janne Kyttanen ein einflussreicher und innovativer Designer ist, hat es nicht gereicht, um Freedom of Creation auf ein marktrelevantes Level zu bringen – zumindest unter den großen Möbelproduzenten…

Auch der PrintStool ist noch ein gutes Stück entfernt von einem markttauglichen Produkt. Es sollte also niemand darauf hoffen, dieses Jahr einen unterm Weihnachtsbaum zu finden. Thorsten Franck hat gezeigt, dass es möglich ist, Möbel per 3D-Druck zu produzieren, und jetzt liegt es an Wilkhahn, Thorstens Forschungen in eine praktische, tägliche, industrielle Produktion zu übertragen. Das hängt jedoch ebenso von juristischen und wirtschaftlichen Fragen sowie von Zertifikaten, von der Technik und von den Arbeitsabläufen ab. „Wir experimentieren immer noch viel mit dem wie und warum“, sagt Jochen Hahne, „nicht zuletzt, weil dieses Projekt Themen umfasst, mit denen wir uns als Produzenten normalerweise nicht beschäftigen, und die wir erstmal verstehen müssen. Auch hinsichtlich der breiteren Akzeptanz eines solchen Produktes auf dem Markt. Rifkin sagt, solche Technologien würden die Welt verändern. Worin er sich sehr viel vager ausdrückt ist bei der Frage, wann das genau geschehen wird. Wir wollen aber auf jeden Fall dabei sein, wenn es soweit ist“! Wie das im Kontext der Möbelindustrie aussehen wird ist noch ungewiss, aber mit dem PrintStool haben Designer Thorsten Franck und der Hersteller Wilkhahn einen entschiedenen Schritt in eine sehr interessante Richtung gemacht und uns so mehr denn je von einer Zukunft überzeugt, in der kommerzielle, industriell 3D-gedruckte Möbel weit verbreitet sein werden.


(Vorsicht! – Video mit Musik unterlegt!)

*amerikanischer Ökonom und Autor, spezialisiert auf die Auswirkungen technologischer und ökonomischer Veränderungen auf die ökonomische und soziale Realität. Wichtigster Befürworter der Idee einer dritten Industriellen Revolution, befeuert durch das Internet und erneuerbare Energien.

P. S.: Normalerweise nutzen wir nur unsere eigenen Fotos von den Messeausstellungen, und das ist uns auch sehr wichtig. Jedes mal, wenn wir allerdings an den Wilkhahn Stand auf der Orgatec 2016 kamen, wurden die PrintStool Exemplare gerade jemandem gezeigt oder waren anderweitig in Benutzung – wir hatten also keine Chance. Und das während der kompletten drei Tage! Das deuten wir mal positiv. Statt der Fotos von der Orgatec haben wir also hier die Bilder von der NeoCon Chicago und das offizielle Wilkhahn Video genommen.

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