Alvar Aalto – Second Nature im Vitra Design Museum

Wer den finnischen Architekten und Designer Alvar Aalto kennt, denkt sofort an die fließenden, freien Formen seiner Gebäude und seiner Formsperrholzmöbel. Die sind ohne Frage toll, aber viel mehr scheint es über ihn nicht zu sagen geben.

Trotzdem widmet Vitra Aalto derzeit eine Ausstellung und die Frage, was es dort wohl – Neues – zu sehen gibt, drängt sich uns förmlich auf. Also haben wir uns mal wieder auf den Weg nach Weil am Rhein gemacht und uns selbst davon überzeugt, dass sich ein Besuch der Ausstellung „Alvar Aalto – Second Nature“ im Vitra Design Museum durchaus lohnt.

Alvar Aalto Second Nature Vitra Design Museum

Alvar Aalto - Second Nature im Vitra Design Museum. (Und vielleicht ein Vorschlag Aaltos für eine Erweiterung des Museums ...)

Der 1898 im finnischen Kuortane geborene Alvar Aalto begann 1916 mit einem Architekturstudium in Helsinki, das er 1921 abschloss, und gründete 1923 sein eigenes Architekturbüro in Jyväskyla. Im Jahr 1927 zog Alvar Aalto nach Turku, wo er die Bekanntschaft des örtlichen Fabrikanten Otto Korhonen machte – eine Freundschaft, die ausschlaggebend für die Entwicklung von Alvar Aaltos Karriere als Möbeldesigner werden sollte. Ein internationales Publikum erreichte Alvar Aalto erstmals 1932 mit seinem Paimio Krankenhaus, bevor dann ein Jahr später eine Ausstellung in London auch die weltweite Erfolgsgeschichte seiner Formsperrholzmöbel auslöste. Diese Ausstellung führte gewissermaßen auch zur Gründung der Firma Artek, die ab 1935 Aaltos Möbelentwürfe produzieren und vertreiben sollte. Es folgten über 300 weitere Architekturprojekte (realisierte und nicht realisierte), zahlreiche Möbel, Lampen und Glaswaren sowie verschiedenste Preise, Ausstellungen, Gastprofessuren usw. Alvar Aalto starb am 11. Mai 1976 in Helsinki.

So viel wissen wohl die meisten.

„Alvar Aalto – Second Nature“ will daher einen Schritt weitergehen und den Besuchern einen neuen Alvar Aalto vorstellen. Mit den Worten des Ausstellungskurators Jochen Eisenbrand soll so die „etablierte Vorstellung von Alvar Aalto als einen Architekten, der tief mit der finnischen Landschaft verwurzelt war und dessen Formensprache sich von dort aus entwickelt habe, hinterfragt werden.“ Wenn man so will also ein Alvar Aalto, dessen Formen nicht nur auf die finnischen Wälder zurückgehen. Zu diesem Zweck wurde die Ausstellung in vier Abschnitte unterteilt – mit einer ziemlich holprigen thematisch-chronologischen Struktur.

Die Ausstellung beginnt mit einem Überblick über Alvar Aaltos früheste Architekturarbeiten, darunter das Bibliotheksgebäude in Vyborg, die Kirche in Muurame und das Gebäude der landwirtschaftlichen Genossenschaft in Turku, und endet mit dem Paimio Krankenhaus, also dem Projekt, das ganz offiziell Aaltos Übergang von eher historischen Architekturgenres zur europäischen Moderne und dem europäischen Funktionalismus markiert. Dieser Übergang wird in der Literatur häufig als ein sehr plötzlicher Schritt beschrieben. Wie plötzlich war er aber tatsächlich und was führte zu dieser Wandlung?

„Plötzlich‘ ist natürlich eine Frage der Definition“, so Jochen Eisenbrand, „blickt man zurück, wird deutlich, dass sich diese Veränderung innerhalb relativ kurzer Zeit vollzogen hat. Für mich bilden Aaltos Reisen hier den Hintergrund. 1928 beispielsweise unternahm Aalto seine erste Europareise, im Jahr 1929 nahm er am CIAM Kongress in Frankfurt Teil, auf dem er viele der führenden modernen Architekten traf – diese Erfahrungen und Begegnungen beeinflussten seine Architektur. Zur gleichen Zeit entwickelte sich aber auch in Skandinavien eine moderne Bewegung. Aalto war zum Beispiel mit den Organisatoren der Ausstellung von 1930 in Stockholm befreundet, der ersten Manifestation der Moderne in Schweden, und verfolgte die Vorbereitungen zu dieser Veranstaltung sehr genau. Es gab also einen Prozess über einige Jahre, der von verschiedenen Ereignissen bestimmt war. Und wenn man beispielsweise seine Kirchenprojekte aus dieser Zeit studiert und die frühen Skizzen mit den späteren vergleicht, wird ganz deutlich, wie sich das Design der Kirchen sukzessive vom nordischen Klassizismus hin zu einer sehr viel reduzierteren, modernen und abstrakten Formensprache entwickelte.“

Einen weiteren Einfluss auf diesen Transformationsprozess und auch auf Aaltos Entwicklung während der darauffolgenden Jahrzehnte findet man im zweiten Ausstellungsraum. Dort geht es um Alvar Aaltos Beziehung zur zeitgenössischen Kunst der 1920er und 30er Jahre und wie diese seine Arbeit und sein Verständnis von Begriffen wie Raum, Licht, Volumen und Form beeinflusste. Dieses Verständnis entwickelte Aalto allerdings schon durch seine Untersuchung einer „multisensorischen“ Architektur, wie sie im ersten Raum dokumentiert wird. In diesem Zusammenhang bezeichnete sich Aalto später auch einmal als ein Dirigent der Architektur, der die zahlreichen Aspekte koordiniert, die ein Gebäude zu einer einheitlichen Komposition werden lassen – ebenso wie ein Dirigent ein Orchester leitet.

Dieser Aspekt Alvar Aaltos und seine Entwicklung wird einerseits im Zusammenhang mit Künstlern präsentiert, mit denen Aalto bekannt war, beispielsweise Alexander Calder oder Jean Arp, aber auch anhand zweier Architekturprojekte, die Aalto während dieser Jahrzehnte beendete, die Villa Mairea und das Maison Louis Carré. Beide Gebäude wurden für Sammler zeitgenössischer Kunst entwickelt und so auch mit Ausstellungsräumen für die Sammlungen konzipiert.

Alvar Aalto Second Nature Vitra Design Museum

Alvar Aalto - Second Nature im Vitra Design Museum

Mit eher klassischem Ausstellungsdesign steht „Second Nature“ in einem erfreulichen Kontrast zum anspruchsvolleren experimentellen Ausstellungskonzept von „Konstantin Grcic – Panorama“. Das heißt im dritten Raum werden Aaltos Möbel- und Glasdesigns überwiegend auf weißen Blöcken präsentiert. Eine kuratorische Sünde, die man beim Anblick der ausgestellten Objekte allerdings schnell vergibt.

Neben den bewährten Aalto Klassikern, wie dem Hocker 60, dem Servierwagen 900 oder dem Sessel Paimio, sind auch faszinierende weniger bekannte Stücke zu sehen; darunter der sogenannte Stuhl 26, ein Stuhl aus Stahlrohr und Formsperrholz für Paimio, und, am beeindruckendsten von allen Ausstellungsstücken, der Paimio Drehstuhl, ein wirklich verführerisches Objekt, das zudem eine unmittelbare und nicht zu ignorierende Ähnlichkeit mit Konstantin Grcics Rival Chair für Artek aufweist. Wir wollen damit gar nichts sagen, ist nur ein Vergleich …

Neben den fragwürdigen weißen Blöcken fanden wir auch die kuratorische Entscheidung, Altos Möbel und Lampen getrennt von der Architektur zu präsentieren, etwas kurios. Aaltos Möbel entstanden fast immer im Zusammenhang mit Architekturaufträgen, jedenfalls während der frühen Jahre, und so hätte es wohl auch mehr Sinn gemacht beides zusammen auszustellen. „Wir haben lange über diesen Punkt nachgedacht“, gesteht Jochen Eisenbrand, „aber schließlich entschieden wir, dass es im Kontext unserer Ausstellung wichtiger ist, das Serielle der Produktion zu betonen – Aaltos Möbel waren auch Produkte, die für ein Massenpublikum und die Serienproduktion geplant wurden. Dieser Punkt ist wichtig gerade im Hinblick auf den Einfluss der angewandten Kunst auf Aaltos Schaffen, den Kunsteinflüssen also, die Aalto halfen sich als Architekt und Designer weiterzuentwickeln.“

Das Obergeschoss wird schließlich dem Bereich der Ausstellung überlassen, der einen Blick auf Alvar Aaltos spätere Architekturprojekte wirft, vor allem auf diejenigen, die in Übersee realisiert wurden oder zumindest dafür geplant waren; darunter das Kulturzentrum Wolfburg, die Baker House Studentenwohnungen am MIT Cambridge, Massachusetts und sein Design für ein neues Kunstmuseum in Bagdad von 1957.

Im September 2013 kaufte Vitra den Hersteller Artek. Im Oktober 2014 präsentiert das Vitra Design Museum eine Alvar Aalto Ausstellung. Alles nur ein glücklicher Zufall? Mit etwas schiefem Lächeln meint Mateo Kries, Chefkurator des Vitra Design Museums, dazu: „Wie jeder sehen wird, hat die Organisation der Ausstellung länger als ein Jahr gedauert. Tatsächlich haben wir die Ausstellung während der letzten drei Jahre vorbereitet. Dass Vitra in dieser Zeit Artek übernommen hat, ist reiner Zufall.“ Wir müssen auch sagen, dass die Ausstellung unseren „Thonet-Test“ bestanden hat. Den haben wir im Zusammenhang mit der jüngsten Ausstellung, „Sitzen – Liegen – Schaukeln. Möbel von Thonet“ im Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig entwickelt. Geprüft wird dabei, ob kommerzielle Interessen Einfluss auf den Inhalt einer musealen Ausstellung genommen haben. „Second Nature“ ist jedenfalls in keiner Hinsicht als Werbeveranstaltung für Artek oder Iittala, die Firma produziert Aaltos Glasdesigns, zu verstehen. Beide Unternehmen werden natürlich erwähnt, alles andere wäre albern, aber die Ausstellung befasst sich ganz klar mit Alvar Aalto und nicht mit denen, die heute seine Möbeldesigns vermarkten.

Alvar Aalto Second Nature Vitra Design Museum furniture

Alvar Aaltos Möbel bei Alvar Aalto - Second Nature, Vitra Design Museum

Mit ungefähr 20 Architekturmodellen, 50 Originalskizzen, 60 Lampen bzw. Möbeldesigns sowie Briefen, Postern, Magazinen, Fotografien und ähnlichem Material ist „Second Nature“ nicht bezüglich der Objekte, aber in Bezug auf den Umfang und die Tiefe der Informationen wohl die ausführlichste Ausstellung, die man jemals über Alvar Aalto zu sehen bekommen wird.

Eine sehr wichtige Komponente sind diesbezüglich Armin Linkes Fotografien von Alvar Aaltos Gebäuden bzw. das Zusammenspiel der Fotografien mit den ausgestellten Objekten. Die speziell für die Ausstellung in Auftrag gegebenen Arbeiten fokussieren, ähnlich wie die Fotografien Ola Kolehmainens, eher Details der Gebäude und ihren Kontext, als dass sie Aaltos Konstruktionen zu unberührbaren Monumenten stilisieren. Folglich sind Armin Linkes Bilder eine einmalige Bereicherung für Alvar Aaltos Architektur, und das gelingt ihnen auf sehr einfache und zugängliche Weise. So öffnet sich die Ausstellung durch die Fotografien, die zudem sehr zum Vergnügen beitragen.

Mit den Fotografien, Kunstwerken und den Referenzen auf die Kunst kann „Alvar Aalto – Second Nature“ ganz klar als weitaus mehr als eine „simple“ Designausstellung gesehen werden. Das erklärt vielleicht auch, warum es der Ausstellung gelingt ein so interessantes und einnehmendes Portrait Alvar Aaltos zu zeichnen. Mateo Kries sieht es folgendermaßen: „Ich denke, dass eine Kombination von Architektur und Designausstellung mit Kunstelementen vor beispielsweise 10 Jahren nicht möglich gewesen wäre, allerdings kommen sich Reflexionen und Gedanken über Kunst, Design und Architektur heute näher, und das erlaubt uns jetzt jemanden wie Alvar Aalto in seiner ganzen Reichweite unter die Lupe zu nehmen.“ Bedeutet das eine Erweiterung des Aufgabenbereiches des Vitra Design Museums? Vor allem wenn man „Second Nature“ im Kontext der „Pop Art Design“-Ausstellung im Jahr 2012 betrachtet. „Nein, nein“, antwortet Mateo Kries kategorisch. „Wir sind ein Designmuseum und nehmen diese Tatsache sehr Ernst, das bedeutet aber eben auch, dass wir uns verpflichtet fühlen, beispielsweise die Einflüsse der Kunst zu zeigen oder auf den Dialog zwischen Architektur und Urbanismus einzugehen. Ich denke, es wird für unsere Besucher interessanter, wenn sie etwas über solche Zusammenhänge erfahren und ich hoffe, dass wir in Zukunft weiter daran arbeiten können, wie wir Design und Designausstellungen präsentieren.“

Alvar Aalto Second Nature Vitra Design Museum

Alvar Aalto - Second Nature im Vitra Design Museum

Jeder kennt den finnischen Architekten und Designer Alvar Aalto. Aber kennt man die Möbel für die Muurame Kirche von 1928, seine experimentellen Designs für Kinosäle, die auf Avantgarde Filme abzielten? Sind einem Aaltos Pläne für das Büro der Turun Sanomat Zeitung in Turku bekannt, zu denen auch gehörte, dass die Titelseite jeden Tag an die Fassade projiziert werden sollte? Kennt man den Paimio Drehstuhl?

Der Besuch von „Alvar Aalto – Second Nature“ macht deutlich, wie wenig wir doch über Alvar Aalto wissen und wie viel von ihm durch die gängigen, bequemen Einordnungen und Zuschreibungen verschleiert wird. „Second Nature“ liefert einen neuen Eindruck von Alvar Aalto. Die Ausstellung geht über die populären Bilder hinaus, zeigt neue Facetten Alvar Aaltos und seiner Arbeit und bekräftigt den Besucher sich weiter in das Thema zu vertiefen. Alles, was einem vorher schon bekannt ist, wird ergänzt, erweitert und vertieft durch vieles, was man vorher nicht gewusst oder gesehen hat. Doch wie wir es uns schon gedacht hatten, fehlte die Geschichte vom Treffen Alvar Aaltos mit George Nelson in Cambridge Massachusetts 1948.

Alles andere kann und sollte man im Vitra Design Museum erfahren.

„Alvar Aalto – Second Nature“ ist bis Sonntag, den 1. März 2015, im Vitra Design Museum, Charles-Eames-Straße 2, 79576 Weil am Rhein zu sehen.

 

 

 

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