smow Blog Designkalendar: 18. September 1981- Memphis Eröffnungsausstellung, Mailand

Gefeiert als die Rettung des Designs. Denunziert als Kitsch. Frisch & belebend. Eitel & hochnäsig. Ein Wendepunkt in der Designgeschichte. Eine vorbeigehende Modeerscheinung.

Es gibt wenig Architektur- und Designbewegungen, die die Geschmäcker so sehr teilten, wie die Arbeiten der italienischen Gruppe Memphis.

Oder die noch mehr als 30 Jahre nach ihrer Entstehung die Geschmäcker so teilen.

Obwohl sie offiziell mit einer Ausstellung in der Arc ’74 Galerie in Mailand am Freitag, den 18. September 1981 lanciert wurden, kann die Memphis Gruppe ihre Anfänge bis in die 1960er zurückverfolgen, oder wie der Gründer und führende Protagonist der Gruppe Ettore Sottsass es sagte, „Memphis selbst ist das Resultat von 10 Jahren Anti-Design, von mehr oder weniger politisch gefärbten Diskussionen.“1

Geboren 1917 in Innsbruck, Österreich, studierte Ettore Sottsass Architektur an der Politecnico di Torino, bevor er 1946 nach Mailand zog, wo er sein eigenes Architektur- und Designstudio gründete, von dem aus er neben anderen Projekten mit dem INA-CASA Nachkriegswiederaufbauprogramm arbeitete, an einigen Mailänder Triennalen mitwirkte und zahlreiche Kunst- und Handwerksprojekte entwickelte. 1956 reiste Ettore Sottsass nach Amerika, wo er drei Monate mit George Nelson in dessen New Yorker Studio arbeitete, drei Monate, die seine Sichtweise darauf, was Design ist und sein kann grundlegend ändern sollten. „Ich muss sagen, ich war sehr beeindruckt von Amerika, weil es offensichtlich war, dass Amerika mitten in einer intellektuellen Revolution steckte – insbesondere in einer industriellen Revolution“ erinnerte sich Sottass später in einem Interview mit dem Icon Magazine, bevor er eine wichtige Einschränkung hinzufügte, „denn in Italien hatten wir keine Vorstellung von Industrie.“2 Bei seiner Rückkehr aus New York machte sich Ettore Sottsass daran, das zu ändern, wie es durch seine berühmte Zusammenarbeit mit der italienischen Büro- und Telekommunikationsfirma Olivetti veranschaulicht wurde. Ganz wie bei George Nelsons Kooperation mit IBM nutzte Sottsass intelligente, zeitgemäße und vor allem unternehmenseigene Systeme und Designs, um ein ansonsten uninspirierendes, beiges Konglomerat in ein Beiwort für anspruchsvolle, kosmopolitische Anmut zu verwandeln. Neben Olivetti arbeitete Ettore Sottsass in den 1960ern mit so unterschiedlichen Firmen wie Poltrona Frau, Raymor oder Arredoluce zusammen.

Ironischerweise, oder vielleicht passenderweise, sollte Ettore Sottsass‘ meistbekanntes Olivetti Produkt die tragbare Schreibmaschine Valentine von 1969 werden, welche ihn weg vom Produktdesign und hin zum Anti-Design führte.

1961 war Sottsass nach Indien gereist, wo seine Erfahrungen ihn dazu brachten, wie bei so vielen, die später dem sogenannten Hippie Trail durch Zentralasien folgten, das Wesen der westlichen europäischen Gesellschaft in Frage zu stellen und die vor allem sein Verständnis von Objekten, Besitztümern und die Bedeutung beider grundlegend beeinflussten. Daher entwickelte Sotsass parallel zu seiner Arbeit mit Olivetti auch abstraktere Projekte, vorrangig Keramikarbeiten und Projekte, durch die er nicht nur neue Formensprachen erkundete, sondern auch neue Wege, sich auf die Objekte in unserer Umgebung zu beziehen, bei denen er die Idee des Konsumismus in Frage stellte.

Die parallelen und gegensätzlichen kreativen Wege liefen schließlich 1969 auseinander, als Sottsass realisierte, dass Olivetti mit der Valentine etwas Heiteres und Billiges wollte, ein tragbares Wegwerfprodukt, und so entschied er, dass die Zeit reif war, sich vom Produktdesign wegzubewegen. Oder wie er später im Zusammenhang mit Memphis schrieb, „sogenanntes „Industriedesign“ wurde in der generellen Bedeutung des Wortes als ein Service für die Industrie und nicht für die allgemeine Öffentlichkeit gesehen. Das besagte auch, dass die Bedingungen von der Industrie und nicht von der Öffentlichkeit festgelegt wurden. Unsere Vorstellung war, zu sehen was passieren würde, wenn wir uns von diesen Bedingungen befreien würden, zumindest theoretisch.“3

Als erster Schritt auf dieser Straße der Befreiung und Richtung Memphis veröffentlichte Ettore Sottsass 1972 sein Pamphlet „The Planet as Festival“, in dem er einige utopische Zukunftsvisionen präsentierte, bevor er mit etwa 30 anderen Radical Architecture Aktivisten die Gruppe „Global Tools“ mitfinanzierte, ein Projekt, welches die „freie Entwicklung der individuellen Kreativität anregen“ wollte.1977 wurden Ettore Sottsass und Andrea Branzi gebeten, für den Mailänder Händler Croff Casa Möbel zu designen, eine erste Möglichkeit, seine Ideen einer größeren Öffentlichkeit zu zeigen: Die resultierende „Casanova“ Kollektion war, laut Barbara Radice, so radikal, so frei und so befreit, dass nicht nur die Kunden sie ablehnten, sondern auch das Croff Casa Vertriebsteam sich weigerte, für sie zu werben oder sie zu verkaufen.5

Im selben Jahr wurden Sottsass und Branzi aufgefordert, sich dem postmodernen Alchimia Kollektiv von Alessandro Guerriero und Alessandro Mendini anzuschließen; allerdings veranlassten fundamentale Differenzen zwischen Sottsass und Mendini in Bezug auf die Richtung, die die Gruppe einschlagen sollte, Sottsass im Jahr 1980 dazu, die Gruppe zu verlassen und danach mit einer Gruppe von gleichgesinnten Individuen Memphis zu gründen.

Gleichgesinnte, wenn auch jüngere Individuen. Während der Großteil der Designer und Architekten, die an der Memphis Eröffnungsausstellung teilnahmen, wilde junge Dinger in ihren 20ern waren, war der Kopf der Bewegung unwesentlich weniger alt als jugendliche 64, als die erste Ausstellung eröffnet wurde.

Wer sagt, nur die Jugend rebelliert!

Ebenso, wie Pop Art das Stumpfsinnige, Geschmacklose und Oberflächliche erhellte und dazu zwang, mit der altbewährten Kunstwelt zu brechen, machte auch Memphis Gebrauch von banalen, alltäglichen Materialien und leuchtend grellen, geschmacklosen Farben für seinen Angriff auf den dogmatischen Funktionalismus des Designs der 70er; ein Angriff, der zuerst durch die Nutzung neuer, herausfordernder Formen ausgedrückt wurde, ungewohnte Ausdrücke des Gewohnten, was in den Augen der Erschaffer das damalige Zeitalter reflektierte, nicht Zeitalter, die lange vorüber waren.

Und doch, trotz der Revolution, die in Memphis verwurzelt war und trotz des lockeren allgemeinen Blickwinkels auf die abstrakten Formen und grellen Farben, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Objekte, die Memphis kreierte, funktionierten. Sie waren funktional. Dass ihre Form nicht der Funktion folgte, war auch der wichtigste Punkt, oder wie Sottsass gerne zitiert wird, nachdem er einmal sagte „Als ich jung war, war alles, was wir hörten, Funktionalismus, Funktionalismus, Funktionalismus. Das reicht nicht. Design sollte auch sinnlich und spannend sein.“6

Außerdem wurden alle Memphis Produkte zur Massenproduktion designt.

Zumindest theoretisch.

Von Beginn an wurde Memphis als ein Unternehmen geführt, ein Unternehmen, gegründet mit dem Ziel, seine Arbeit zu vermarkten und zu verkaufen: Obwohl sie die Verbraucherherrschaft in Frage stellten, war Memphis nicht anti-kommerziell und tatsächlich entwarf Ettore Sottsass im Lauf der 70er eine Reihe von Objekten für Alessi. Ein wichtiger Partner im Memphis-Geschäft war der Mailänder Leuchtenhersteller Artemide. Kurz nach der Eröffnung der ersten Ausstellung trat Sottsass an den Mitbegründer und Hauptgeschäftsführer von Artemide, Ernesto Gismondi, heran, um ihn zu einer Zusammenarbeit aufzufordern, Gismondi stimmte sofort zu, auch wenn es aus geschäftlichen Gesichtspunkten vielleicht klüger gewesen wäre, es nicht zu tun, da, laut Gismondi, „es für einige Jahre bei Memphis Defizite gab, die von Artemide abgedeckt werden mussten.“7

Der Hauptgrund für die Defizite war, dass trotz all ihrer Beteuerungen für massenproduzierbares Design, der Großteil der Memphis Produkte der Kunst näher war, als ihre Designer zugeben wollten oder konnten; als Konsequenz waren Memphis Objekte teuer und nur für ein sehr begrenztes Marktsegment von Interesse.  Etwas, das vielleicht am besten demonstriert wird vom Carlton Bücherregal von Ettore Sottsass, eines der meistbekannten Memphis Stücke und ein Objekt, welches laut Gismondi aufgrund des willkürlichen Wesens seines Konstruktionsprinzips und der Vielzahl der Komponententeile einfach nicht massenproduziert werden kann – und für das ohnehin nur grobe Skizzen existierten, keine detaillierten Pläne, denen die Konstrukteure folgen konnten.

Laut Gismondi gab es nur ein entfernt kommerziell erfolgreiches Memphis Objekt: den Stuhl First von Michele De Lucchi. Trotzdem und in Worten, die an Heinz Rasch erinnern, war First nach Gismondi nur erfolgreich, weil „es ein Stuhl war, der einem Stuhl am ähnlichsten war. Michele gelang es tatsächlich sehr clever, ein Produkt zu designen, das wirklich Memphis war und das gleichzeitig teilweise die Bedürfnisse des Marktes und die der Firma beantwortete.“8

Der Rest der Produkte beantwortete in erster Linie die Bedürfnisse von Memphis, die zeitgenössischen Wahrheiten und gültigen formalistischen Standards herauszufordern. Was vielleicht erklärt, warum Memphis immer mehr dazu überging, sich weniger wie ein industrielles Projekt, sondern eher wie ein Galerie-Projekt zu sehen.

Ettore Sotsass verließ Memphis 1985 und obwohl das Post-Sottsass Memphis fortbestand und tatsächlich immer noch besteht, verlor es ohne seine treibende Kraft an Relevanz und Vitalität.

Was natürlich die offensichtliche Frage hervorruft, was von Memphis bleibt?

Für die meisten Menschen wäre die Antwort wohl „die Objekte“.

Objekte, die allerdings ständig misinterpretiert werden, es ginge bei ihnen eher um den Stil, die physische Form, als die Idee dahinter; und es sind diese Vorstellungen, die Memphis‘ wichtigstes Vermächtnis sind, die Demonstration, dass man nicht einfach den Status Quo akzeptieren muss, sondern dass wenn man seinen Idealen treu bleibt und sie mit Klarheit und Kompetenz präsentieren kann, man wirklichen Wandel erreichen kann. Keinen Wandel im Sinne von sofort die Welt verändern, aber Wandel wie die Veränderung von Gedankengut, Meinungen und Perspektiven.

Wandel, wie den Horizont der Möglichkeiten zu erweitern und die Chance auf eine alternative Zukunft zu erschaffen. Die Arbeiten der Memphis Gruppe waren vielleicht nicht kommerziell erfolgreich, und werden es aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie werden, aber die Ideen und die Gedanken, die sie erschufen, beeinflussen immer noch Designer und Architekten und bleiben wichtige Bestandteile jeder zeitgenössischen Designabhandlung.

Zusätzlich gab uns Memphis in vielerlei Hinsicht die Designgalerie als eine Institution, die sich vom Designmuseum und der Kunstgalerie absetzt. Und auch heute noch bieten gute Designgalerien eine Plattform für Designer, die Normen ihrer Zeit in Frage zu stellen, gängige Standards anzufechten, Alternativen anzubieten und damit weiterhin, wie es Memphis im September 1981 tat, ihre Besucher zu verwirren, zu beleidigen, zu begeistern, zu inspirieren und zu bestürzen.

1. Poul ter Hofstede, Memphis 1981 – 1988, Groninger Museum, 1989

2 Justin McGuirk „Ettore Sottsass“ Icon, Issue 046, April 2007 http://www.iconeye.com/404/item/3056-ettore-sottsass-dies Accessed 17.09.2015

3. Poul ter Hofstede, Memphis 1981 – 1988, Groninger Museum, 1989

4. Document No. 1. The Constitution. Global Tools, No 1 Florence 1974, quoted in Hans Höger, Ettore Sottsass jun. Designer. Artist. Architect. Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin. 1993

5. Barbara Radice, Ettore Sottsass, Leben und Werk, Bangert Verlag, München 1993

6. Originalquelle unbekannt

7. Poul ter Hofstede, Memphis 1981 – 1988, Groninger Museum, 1989

8. ibid

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