Passenger Terminal Expo 2016 in Köln: Vitra

Die meisten von uns haben noch nie von den Unternehmen gehört, die auf der Messe Light + Building in Frankfurt ausstellen. Bei den Ausstellern auf der Passenger Terminal Expo wiederum – der führenden Messe für Flughafenausstattung in Europa – war uns nicht mal bewusst, dass solche Firmen überhaupt existieren: Entwickler für Flughafen- Beschilderungssysteme beispielsweise, oder Hersteller von Flughafen-Sicherheitsschleusen, von Gepäckkarussellen, Buchungssystemen für Airlines oder Terminals zum selber Einchecken. Natürlich ist auf der Messe auch die liebliche Frauenstimme vertreten, die einen informiert, wenn das Gate gewechselt hat, wenn das Boarding für ein sehr viel exotischeres Ziel als das eigene beginnt, oder das Boarding für den eigenen Flug beendet ist, bzw. wenn man der letzte Reisende ist und alle aufhält.

Die Passenger Terminal Expo ist schon viel herumgekommen und hätte längst Vielfliegerstatus verdient – sie findet nämlich jedes Jahr in einer anderen Stadt und 2016 in Köln statt.

Vitra at Passenger Terminal Expo Cologne 2016

Vitra auf der Passenger Terminal Expo Köln 2016

Neben all den in der Öffentlichkeit völlig anonymen Unternehmen, die dafür sorgen, dass der Flughafen läuft, zieht die Messe auch den einen oder anderen vertrauten Aussteller an. Dazu gehört der Schweizer Hersteller Vitra mit seiner speziellen Airport Division.

Als wir vor der Passenger Terminal Expo 2012 mit dem CEO der Vitra Airport Division, Pascal Berberat, sprachen, erzählte er uns, dass die kulturübergreifende Uniformität von Flughäfen ein Grund für Vitra sei, eine spezielle Flughafensparte zu entwickeln. Während die Anforderungen bei Innen- und Büroeinrichtung je nach geografischer Lage variieren, sind die Anforderungen der Flughäfen grundsätzlich global gleich – ein gesondertes Flughafenprogramm sei für ein Unternehmen wie Vitra deshalb sinnvoll.

Bisher umfasste das Vitra Flughafenprogramm  eine Zusammenstellung von Designs aus dem breiten Vitra Portfolio – darunter beispielsweise die Eames Plastic Chairs oder Designs von Maarten van Severen sowie speziell entwickelte Projekte wie Airline von Sir Norman Foster oder die Meda Gate Familie von Alberto Meda. Mit Verner Pantons Cloverleaf Sofa von Verpan präsentiert Vitra in Köln jetzt ein neues Standbein, und zwar eine Kooperation mit einem anderen Hersteller.

Die Kooperation für den Vertrieb des Cloverleaf ist auf den Flughafensektor beschränkt, was natürlich mit Blick auf den Anwendungsbereich von Vitra die Frage aufwirft, warum?

„Wir wollen ein breites Spektrum mit so vielen Lösungen wie möglich anbieten“, erklärt Pascal Berberat, „und sind in dieser Hinsicht offen für Kooperationen mit anderen Firmen, die hochqualifizierte Produkte anbieten, die unseren Standards entsprechen. In formaler Hinsicht liefert das Cloverleaf eine Alternative zur steifen linearen Geometrie der Bänke, die momentan die Bestuhlungskonzepte von Flughäfen dominieren. Mit Flower von Sanaa haben wir außerdem schon ein Produkt, das eine ähnliche, sehr organische Form hat und das Cloverleaf deshalb wunderbar ergänzt. Und natürlich gibt es auch eine enge Verbindung zwischen Verner Panton und Vitra.“

Das heißt natürlich nicht, dass die Bänke aus unseren Flughäfen, geschweige denn aus dem Vitraprogramm verschwinden werden, sondern dass wir mit zunehmend weichen, organischen Sitzgelegenheiten auf unseren Flughäfen rechnen dürfen – als Alternative und Kontrast zu den gewohnten Bänken.

Für uns ergibt Vitras Kooperation mit Verpan absolut Sinn. Das 1970 von Verner Panton für die Visiona 2 Ausstellung in Köln entwickelte Cloverleaf Sofa ist ein modulares System, und bietet als solches hohe Flexibilität. Zudem ist es ein System, das bereits besteht – warum auch etwas entwickeln, das es bereits gibt? Man sollte Neues entwickeln, wenn es aber für besondere Anforderungen bereits eine Lösung gibt, sollte man diese stattdessen nutzen – eine umweltfreundliche und ökonomische Praxis.

Not linear. Cloverleaf modular sofa concept by Verner Panton through Verpan, as seen at Passenger Terminal Expo 2016 Cologne

Nicht linear. Das modulare Cloverleaf Sofa von Verner Panton durch Verpan, gesehen auf der Passenger Terminal Expo 2016 Köln

Dass Bänke in naher Zukunft die Grundlage der Flughafenbestuhlung bleiben werden,  ist an allen Ständen der auf der Passenger Terminal Expo 2016 vertretenen Möbelhersteller  zu sehen: zu 90% werden Banksysteme präsentiert.

Der Einsatz von Bänken ist bei der Flughafenausstattung allerdings auch in mehrfacher Hinsicht eine logische Lösung. Alle erhältlichen Systeme sind modular, sodass Flughäfen Sitze, Tische und Liegen für den jeweils vorgesehenen Bereich frei kombinieren können. Und sollte ein Element beschädigt werden, kann es problemlos ausgetauscht werden.

Vitras Erfahrungen mit Banksystemen für den öffentlichen Raum gehen zurück bis in die 1960er Jahre zum Tandem System der Eames, das immer noch im Portfolio der Firma ist und als altmodische A-Schalen-Version aus Fiberglas vor einem kleinen regionalen Flughafen stand, den wir früher häufig nutzen mussten. Der Blick auf die Bänke machte uns den unfreiwilligen Aufenthalt immer leichter.

Vitra präsentiert zwar keine per se neuen Banksysteme auf der Passenger Terminal Köln, allerdings eine neue Erweiterung zu ihrem Bänkeprogramm: die HAL Bank mit der – wie nicht anders zu erwarten war – HAL Sitzschale von Jasper Morrison.

Ursprünglich gedacht als Einrichtungslösung für Orte, an denen Platz heiß begehrt ist, wie beispielsweise kleinere, regionale Flughäfen, ist die HAL Bank im Vergleich zur Mehrheit anderer Flughafenbänke hagerer und schlanker – ein eher kompaktes, weniger voluminöses Objekt, das durch unkomplizierte Eleganz besticht. Außerdem ist die Bank ein wunderbares Beispiel für die inhärente Flexibilität eines gut designten Produktes. Und ja, wir gehen davon aus, dass die HAL Sitzschale das Produkt ist, genauso wie die einteilige Sitzschale der Eames das Produkt ist. Denn mit der Sitzschale kann eine Reihe untereinander austauschbarer Untergestelle verbunden werden, sodass man die Möglichkeit hat, mit einer ganzen Serie von Sitzgelegenheiten einen kompletten Flughafen auszustatten. Dabei geht es wohl weniger um die optische Einheitlichkeit, an der einem Innenarchitekten gelegen sein mag, sondern darum, Möbel je nach Bedarf austauschen zu können. Die konventionellen Überlegungen zu Möbeldesign und Funktionalität interessieren uns in diesem Fall allerdings weniger – worüber wie uns bei der HAL Bank am meisten freuen ist, dass sie keine Armlehnen hat, denn Sitzplätze mit Armlehnen auf Flughäfen sind bekanntermaßen eines der großen Übel unserer Zivilisation.

Zwar verstehen und akzeptieren wir widerwillig das Argument der Flughäfen, die Leute sollten nicht auf den Bänken liegen, weil so all ihre Sitzplatzkalkulationen durcheinanderkämen, aber dennoch: Armlehnen auf Flughäfen sind eine schlimme Sache.

 

A bench composed of HAL seat shells by Jasper Morrison for Vitra, as seen at Passenger Terminal Expo 2016 Cologne

Eine aus HAL Sitzschalen komponierte Bank von Jasper Morrison für Vitra, gesehen auf der Passenger Terminal Expo 2016 Köln

In unserem Interview von 2012 verglich Pascal Berberat Flughäfen mit kleinen Städten. Sieht man die Sache so, ist es natürlich kein Wunder, dass eine Firma wie Vitra an einem Markt wie dem der Flughäfen ein Interesse hat. Einerseits kann Vitra mit seinem breiten Portfolio nicht nur Sitzgelegenheiten für öffentliche Wartebereiche liefern, sondern für alle Flughafenbereiche – von der Security über den Duty-free-Bereich bis hin zu Bars, Cafeterien und zur Luftraumkontrolle. Und weil viele von diesen Sitzen aus einem Portfolio von Produkten stammen, die alle auch für den Wohn- und Bürobereich erhältlich sind, werden viele Passagiere die Designs wiedererkennen und sich so wohler fühlen als in der sterilen Hochsicherheitsatmosphäre gegenwärtiger Flughäfen. Da den meisten Vitra Produkten zudem eine Menge Forschung in Sachen Materialien und Ergonomie zugrunde liegt, kann Vitra darüber hinaus die Kluft zwischen den Bedürfnissen der Passagiere bezüglich des Komforts und denen der Flughäfen oder Airlines, denen es eher um Flexibilität und Langlebigkeit geht, gut überbrücken. Funktionalität ist letztlich eine Frage der Perspektive… .

Die Erweiterung des Vitra Angebots von Wohn- und Büroräumen auf einen so vielseitigen Bereich wie den Flughafen ist ziemlich geradlinig; aufmerksame Passagiere werden es auf so unterschiedlichen Flughäfen wie München, Doha, Heathrow, Delhi oder Eindhoven, oder aber auch am Eurostar Terminal am Bahnhof Waterloo Station in London bemerken. Was auf dem Flughafen funktioniert, lässt sich natürlich auch auf Bahnhöfe und Fähranleger, bzw. auf Einkaufszentren, Rathäuser, Wartezimmer, etc. … übertragen.

In den vergangen Jahren ist der Bedarf an Flughäfen und deren Kapazitäten  – sieht man mal von einigen prinzipientreuen Gegnern in Berlin ab – weltweit gestiegen; und Pascal Berberat erwartet nicht, dass sich diese Situation in naher Zukunft ändern wird.

„Die Welt wird kleiner, die Nachfrage nach Mobilität nimmt zu und Fliegen ist nicht länger der Luxus der es mal war. Ich bin überzeugt, dass sich das in den kommenden Jahren noch verstärken wird und wenn die Leute mehr fliegen, braucht es auch immer mehr Infrastruktur, und das heißt vor allem mehr Flughäfen.“

 

Flughäfen also mit Mobiliar, bei dem man den Herstellernamen schon mal gehört hat und mit Technologie von Firmen, deren Namen man niemals wissen wird und wo eine Frauenstimme erklingt, die so lieblich ist, dass sie auch eine nahende Apokalypse ein bisschen weniger bedrohlich klingen lassen könnte: „Die Vier-Reiter-Airline ist erfreut, Ihnen mitteilen zu können, dass das Boarding für den Flug  REV618 in die Misere beginnt…… .“

Einige Eindrücke von Vitra bei der Passenger Terminal Expo 2016 in Köln:

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