Die Historia Supellexalis: „D“ für Dänemark

The Historia Supellexalis D for Denmark
Dänemark

Eine Halbinsel; ein Archipel; ein Kontext

Um Dänemark rankt sich seit geraumer Zeit die Legende des Skandi-Stils, der mit perfekter Formgebung und Herstellung von Möbeln assoziiert wird. Neuere Forschungen haben jedoch sowohl die Existenz von Skandi überzeugend widerlegt als auch bewiesen, dass in Dänemark entworfene und hergestellte Möbel nicht per se besser sind als anderswo entworfene und hergestellte Möbel. Stattdessen kommt es auf den Designer, den Hersteller und die Materialien und nicht auf die Geografie an. Dennoch hält sich die Legende von Skandi hartnäckig und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, vor allem bei den Menschen auf Instagram.

Die wichtigsten Quellen für die Erforschung der Ursprünge des Möbeldesigns in Dänemark geben sowohl Tischler wie Rudolph Rasmussen und Fritz Hansen als auch Architekten und Gestalter wie Thorvald Bindesbøll oder Johan Rohde als frühe Pioniere an. Und auch ein gewisser Peder Vilhelm „PV“ Klint kann mit folgenden Worten zitiert werden: „Es ist ein Merkmal des Fortschritts in allen Zeitaltern, dass die Menschen in ihrer Beschäftigung mit dem Neuen etwas vom Alten, von den Erfahrungen früherer Generationen, vergessen und, nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, zurückgehen müssen, um das Vergessene wieder zu holen“. Weise Worte und eine Auffassung, die Peder Vilhelms Sohn Kaare Klint an die Spitze des Möbeldesigns in Dänemark bringen sollte.

Dies ist jedoch nur eine von vielen innovativen Perspektiven, die Kaare Klint an die Spitze des dänischen Möbeldesigns bringen sollte. Denn obwohl er im Gegensatz zum modernen metrischen System ein standhafter Verfechter etablierter Maße wie Zoll, Fuß, Folio oder Fathom  war, war Kaare Klint hinsichtlich seines Verständnisses von Möbeln und ihrer Funktion seiner Zeit in Dänemark weit voraus. Er wurde so zu einer der treibenden Kräfte des dänischen Möbeldesigns. 

Dies jedoch weniger als Designer, sondern vor allem in seiner Funktion als Lehrer! Klint war einer der ersten der lehrte, dass die Funktion des Möbeldesigners nicht unbedingt darin besteht, etwas Neues zu entwerfen, sondern vielmehr darin, auf ein neues Bedürfnis zu reagieren. Er war auch einer der ersten in Dänemark, der sowohl forderte, dass die Proportionen von Möbeln mit dem menschlichen Körper, den Gegenständen des täglichen Lebens und den Ritualen des Alltags in Beziehung stehen sollten. Zudem gehörte er zu den ersten, die das Möbeldesign von der Architektur trennten und zu einem eigenständigen Beruf erklärten. Damit lehrte Klint nicht nur, dass das Zeitalter des Architekten als Gesamtkünstler vorbei sei, er veränderte auch die Sichtweise auf Entwicklung und Design von Möbeln grundlegend. Davon zeugt auch die große Zahl der Schüler von Klint, die dazu beigetragen haben, dass sich das Möbeldesign in Dänemark in eine Vielzahl von Richtungen entwickelte. Diese Schüler griffen das, was Klint ihnen beigebrachte auf und übertrugen es in eine Vielzahl neuer Kontexte. Dazu gehören Leuten wie Mogens Koch, Mølgaard-Nielsen og Hvidt oder Børge Mogensen, die mit ihren Taten und Abenteuern nicht nur den Ruf der Klint-Schule begründeten, sondern auch das Ansehen und die Qualität des Möbeldesigns in Dänemark entscheidend voran brachten.

Nicht, dass Kaare Klint zu seiner Zeit der einzige Motor für innovatives, zeitgemäßes Denken gewesen wäre. Die Haushaltswaren des Silberschmieds Georg Jensen lieferten beispielsweise wichtigen Resonanzboden für Ideen des formalen Ausdrucks dieser Zeit. Kay Bojesen, der sich nach seiner Ausbildung zum Silberschmied bei Georg Jensen dem Holz und schließlich der Tierzucht zuwandte, etablierte seinen Hauszoo als zentralen Bestandteil jeder dänischen Inneneinrichtungen. Finn Juhl brachte die Bildhauerei ins dänischen Möbeldesign und brachte dänische Möbel und Skulpturen schließlich nach Amerika. Poul Henningsen war wiederum nicht nur für seine Musik, seine Schriften und seine Filme berühmt, sondern vor allem für seine Lampen. Lampen, die mit der Absicht entwickelt wurden, das Potenzial der neuen elektrischen Glühbirnen so zu nutzen, dass sie sowohl sinnvoll eingesetzt werden können als auch den Benutzer nicht blenden. Diese Aufgabe löste er mit einer mühelosen, konzeptionellen und formalen Grazie, die wiederum dazu führte, dass die Lampendesigns von Poul Henningsen in den Räumen des damaligen Europa fast zum Standard wurden.

Poul Henningsen war zudem auch für seine politischen Ansichten bekannt, und als Dänemark von den Nationalsozialisten besetzt wurde, deren Ansichten denen von Henningsen diametral entgegengesetzt waren, musste er nach Schweden fliehen. Diese Flucht unternahm er in einem Ruderboot mit Arne Jacobsen, einem ehemaligen Schüler von Kaare Klint. Als Klint die Trennung zwischen Architektur und Design und den Untergang des Gesamtkünstlers verkündete, war Jacobsen offenbar jedoch abwesend. Ein Glücksfall, wie seither oft bemerkt wurde, denn durch seine Unkenntnis der Lehren Klint konnte Arne die Tradition der Gesamtkünstler beleben und verstärken. Wie Klint darauf reagierte, ist nicht überliefert; es wird jedoch allgemein angenommen, dass er es sehr begrüßt hätte, dass Arne Jakobsen seiner Intuition folgte.

Nach seiner Rückkehr nach Dänemark sollte Arne Jakobsen sein einsames Gesamtkünstlerdasein fortführen und zu einem der wichtigsten Protagonisten bei der Verbreitung eines neuen formalen Vokabulars des Möbeldesigns in Dänemark werden. Bei dieser Aufgabe wurde er in hohem Maße von dem bereits erwähnten Tischler Fritz Hansen unterstützt, der das Möbeldesign in Dänemark von Beginn an begleitet hatte und vielleicht mehr als jeder andere dänische Tischler mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und ihrer Bedeutung für das Möbeldesign vertraut war. Er erkannte, dass das dänischen Tischlereihandwerk notwendigerweise über seine Grenzen und Komfortzonen hinauszugehen musste.

Und es war dieser Fritz Hansen, der zusammen mit Arne Jacobsen einen jungen Mann namens Verner Panton bei seinen ersten Schritten im Möbeldesign unterstützte und förderte. Dieser Panton sollte weit über die bestehenden Grenzen hinausgehen und zu einem der ersten Dänen werden, die Kunststoffe im Möbeldesign einsetzten. Seine Erkundungen führten Verner Panton zwangsläufig weit über die bestehenden physischen Grenzen hinaus, weg von Dänemark und in die Gemeinschaft von Vitra, wo er die besten Bedingungen für die Verarbeitung von Kunststoff zu Möbeln vorfand.

Dann kam es, wie berichtet wird, zu einer großen Katastrophe: Das dänische Möbel-, Beleuchtungs- und Textildesign wurde von der Hygge heimgesucht. Einer abscheulichen, vernichtenden Seuche, die sich von denen ernährt, die sie infiziert, und deren Toxine die generativen und reproduktiven Fähigkeiten der dänischen Designer und Hersteller stark geschwächt haben. So konnten über mehrere hundert Generationen nur noch generische, konventionelle, formalistische Klischees von Möbeln, Leuchten und Textilien verwirklicht werden. All das nur, um dumpfen Hunger der Hygge zu stillen, anstatt nach zeitgenössischen Antworten auf zeitgenössische Fragen zu suchen. Schwere und Ausmaß dieser Krankheit wurden durch das Eingreifen der herrschenden Influencer von Instagram noch verstärkt. Diese haben es geschafft Hygge zu einem Bestandteil der Skandi-Legende zu machen, und das allein aufgrund der wirtschaftlichen Vorteile, die ihnen die Massenverwirrung brachte.

Bis heute leidet das Design in Dänemark unter der Hygge. In den letzten Generationen ist jedoch ein zunehmender Widerstand sowohl bei den Designern als auch bei den Herstellern zu verzeichnen. Ein Beweis dafür, dass die vitalen Systeme des Designs in Dänemark wieder zu Kräften kommen, zunehmend aus ihrem Hygge-induzierten Stupor erwachen und ihren Schwung und ihre Wahrhaftigkeit zurückgewinnen…….

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