Vitra – Work @ Orgatec Köln 2018

2016 veranstaltete Vitra mit einer eigenen Halle auf der Orgatec Köln gewissermaßen eine eigene Messe und teilte Raum und Ideen zur Zukunft der Arbeit mit vielen geladenen Gästen, Freunden und Familie. Das Konzept Work war offenbar erfolgreich, denn auf der Orgatec Köln 2018 wurde es erneut genutzt.

Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

In unserem Post zu der Ausstellung „Ron Arad: Yes to the Uncommon!“ im Vitra Design Museum Schaudepot kündigten wir schon an, dass wir untröstich wären, wenn Vitra die Orgatec 2018 nicht nutzen würde, um Ron Arads „Bucking Bronco“ aus dem Jahr 1990 zu launchen. Sie taten es nicht und wir blieben traurig zurück, vielen Dank auch, Vitra. Glücklicherweise vergaßen wir unsere Enttäuschung bald und konnten uns darauf konzentrieren, was Vitra tatsächlich auf der Orgatec 2018 präsentierte.

Obgleich Vitra stets mit Designern wie Charles und Ray Eames, George Nelson oder Verner Panton und besonders der Einrichtung von Privaträumen in Verbindung gebracht wird, wird ein großer Teil der Unternehmensgeschichte von Büromöbeln dominiert.

Wie wir im Interview mit Josef Kaiser, Chief Sales Officer bei Vitra, auf der NeoCon Chicago im Jahr 2016 bemerkten, tastete sich Vitra 1976 zunächst mit dem Vitramat Stuhl in die Welt der Büromöbel vor. Das Projekt war eine Kooperation zwischen dem Designer Wolfgang Müller-Deisig und Vitras Ingenieurteam unter der Leitung von Egon Bräuning, die gemeinsam etwas entwickeln wollten, das sowohl technisch als auch ästhetisch überzeugte und neu war. Nach diesem Prinzip folgten weitere Bürostühle von Mario Bellini und Antonio Citterio, bevor Vitra 1991 mit dem Citizen Office das wahrscheinlich wichtigste Projekt im Bürobereich startete: Überlegungen zur Zukunft der Arbeitsumgebung, ein Projekt, das der damalige Vitra CEO Rolf Fehlbaum als  „ein Projekt mit ungewissem Ausgang“1 bezeichnete. Mit Work kam Vitra auf der Orgatec Köln 2018 diesem „Ausgang“ etwas näher.

An seasoned Vitra observer considers the new Soft Work modular seating concept by Barber & Osgerby......

Nach „Same-same-but-different“-Manier (bezogen auf Work 2016) bildeten in diesem Jahr drei Büroentwürfe den Kern des Work-Konzepts: Edward Barber & Jay Osgerby präsentierten ihr Shared Office, das eine informelle Arbeitsumgebung inspiriert von Hotellobbys und Cafés darstellen soll; Konstantin Grcics Superflexible Office stellt ein, nun ja, superflexibles Büro dar, in dem nichts festgeschrieben ist und alles zur Diskussion steht; und Sevil Peach, eine langjährige Kooperationspartnerin Vitras im Bürobereich, gestaltete mit ihrem Entwurf Company Home das Büro als in seine Umgebung integrierten, beinahe grenzenlosen Raum.

Mehr als die drei Entwürfe interessierte uns die Diskussion der vier Gestalter mit Pernilla Ohrstedt und Jonathan Olivares, den für die gesamte Installation Verantwortlichen. In dem Gespräch ging es um Büros als öffentliche Räume, die Beziehung zwischen Angestellten und ihrer Umgebung, die Demographie der Arbeit, sanfte Ergonomie und vor allem um die Frage, wo und wie man arbeiten sollte.

Diese Frage impliziert, dass man eine Wahl hat, was auf die große Mehrheit aber nicht zutrifft, denn die meisten Menschen müssen in Büros und mit den Dingen arbeiten, die nun einmal da sind. Wird die Frage dadurch also irrelevant? Nein, es bleibt eine grundlegende Frage, denn zu verstehen, dass die meisten keine Wahl haben, verschiebt den Fokus von „Wo“ und „Wie“ zu „Warum“: Warum arbeiten wir hier und so, wie wir es tun? Oder anders gefragt: Warum trafen die Verantwortlichen diese Entscheidungen?

Rookie by Konstantin Grcic for Vitra, as seen at Orgatec Cologne 2018

Rookie von Konstantin Grcic für Vitra, gesehen auf der Orgatec Köln 2018

Während wir der Diskussion lauschten – einschließlich vielen Ansichten, oder vielleicht besser gesagt Urteilen zu Schreibtischen, die alle darauf hindeuteten, dass alle Teilnehmer dringend Harry Nilsons „Good Old Desk“ aus unser Office Furniture Playlist hören sollten – und als wir über die Inhalte nachdachten, während wir durch die anderen Orgatec-Hallen spazierten, gingen uns die Fragen „Wo/Wie/Warum?“ und die sanfte Ergonomie nicht aus dem Kopf … aber diese Themen heben wir uns für ein anderes Mal auf. Uns fiel besonders auf, dass das Verständnis von heutigen und zukünftigen Büros und der öffentliche Diskurs darüber darauf basieren, wie Unternehmen der Digitalbranche sowie Social-Media- und Medienagenturen arbeiten. Es geht viel um die speziellen architektonischen Entwürfe für schillernde Coworking-Spaces und darum, was im Kontext der Work-Diskussion mehrfach erwähnt wurde, dass Freelancer in Cafés und an ähnlichen öffentlichen Orten arbeiten. So wie wir.

Wir haben zwar ein smow-Blog-Büro mit allem, was das Herz begehrt (außer Regalen: #smowblogfact), aber größtenteils schreiben wir unsere Artikel u. a. in Museumsfoyers, internationalen Hochgeschwindigkeitszügen, Mensen und Caféterien von Hochschulen, Regionalzügen, Bibliotheken, Bahnhofslounges, Flugzeugen, Parks und Cafés. Wir sind also das beste Beispiel für diejenigen, die ihren Büroarbeitsplatz nur temporär nutzen. Wir arbeiten so, weil unser Job dies mit sich bringt, denn bisher kam niemand auf die Idee, bei uns im Büro eine Designausstellung auszurichten. Wir müssen also herumreisen und von dort arbeiten, wo wir es uns ein bisschen gemütlich machen können, oder wo es zumindest eine Steckdose gibt. Wir sind mit diesem Zustand durchaus zufrieden und sehr produktiv und trotzdem sehnen wir uns nach unserem Büro, unserem Schreibtisch und unserem Bürostuhl.

Wir persönlich sind gar nicht so leicht davon zu überzeugen, dass die eben genannten Beispiele der Freiberufler und der Digitalbranche die beste Option sein sollen, denn außer uns sehnen sich bestimmt noch andere Freelancer, die in Cafés arbeiten, nach einem Bürostuhl. Hinzu kommen das aufdringliche Buzzword-Bingo und die für Cafés unangebracht hohe Lautstärke beim Telefonieren. Ein Büro kann zwar ein öffentlicher Ort sein, aber eben nicht ganz so öffentlich wie andere öffentliche Orte … aber dazu ein anderes Mal mehr.

Wenn bei der Förderung von Bürokonzepten weiterhin die Argumente eine große Rolle spielen, dass Freelancer in Cafés arbeiten, die Digitale-Medien-Branche auf Sofas sitzt und andere Arbeitende in von Architekten konzipierten Büros tätig sind, besteht die Gefahr, dass die daraus entstehende Diskussion eher auf Objekten als auf der Praxis basiert – und am Ende sitzen wir alle in kleinen Arbeitskabinen.

The AC 5 Group by Antonio Citterio for Vitra, as seen at Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Die AC 5 Gruppe von Antonio Citterio für Vitra, gesehen bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

Vielleicht nicht unbedingt Kabinen, aber sowas in der Art. Lasst uns zunächst in die 1950er-Jahre und zu Florence Knoll zurückgehen. Wie bereits in einem Blogpost erwähnt, spielte Florence Knoll als Mitglied der Knoll Planning Unit eine leitende Rolle als es darum ging, neue Ideen für den Bereich Büro-Design zu entwickeln, besonders durch eine Analyse der Art und Weise wie Menschen arbeiten und ihrer Wege am Arbeitsplatz. Dieser Ansatz konzentrierte sich auf die Realität innerhalb der Büros.

Im Kontrast dazu sagte der ehemalige Herman-Miller- und Bob-Propst-Mitarbeiter Tom Newhouse in unserem Interview, die kleinen Bürozellen seien entstanden, weil die Gebäudemanager „mithilfe von quadratischen Kabinen mehr Menschen in einem Raum unterbringen konnten“. Es handelte sich also um eine objektbasierte Lösung – zwar ökonomisch, aber dennoch objektbasiert. Büroangestellte lehnten dies ab, weil es nicht zu ihrer Arbeit passte. Denn so funktionieren integrierte Systeme, sie haben Feedback-Schleifen um Schäden vorzubeugen, und ein Büro ist ein integriertes System.

Nur weil etwas für eine bestimmte Gruppe von Menschen funktioniert, muss es nicht für alle funktionieren. Wer ein Konzept einfach auf einen anderen Bereich übertragen will, muss mit Ablehnung rechnen und damit, dass die omnipräsenten Sofalösungen genauso verabscheut werden wie die Bürozellen. Das bedeutet nicht, dass verschiedene Bereiche nicht voneinander lernen könnten, aber man muss verstehen, dass ein Büro ein integriertes System ist, das sich in einem ständigen Wandel befindet.

Soft Work by Barber & Osgerby for Vitra, as seen in the Shared Office at Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Soft Work von Barber & Osgerby für Vitra, gesehen im Shared Office bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

Ein entscheidender Moment in der Vitra-Work-Diskussion 2018 war für uns Konstantin Grcics Statement, dass jeder sich selbst in einer Arbeitsumgebung wiederfinden können sollte. Diese Aussage bringt uns zu Søren Kierkegaards Überlegungen zum Glauben im Kontext zur Beziehung des Individuums zum Universellen und Absoluten und zu dem Gedanken, welche teleologischen Einstellungen es braucht, um ein optimales Büro zu gestalten. Glücklicherweise leitete uns dieser Gedanke zügig weiter zu der Binsenweisheit, dass wenn Menschen gern an einem bestimmten Ort arbeiten, sie sich auch besser mit diesem und ihrem Job identifizieren können und so glücklicher und produktiver sind. Das ist offensichtlich, aber auch kompliziert und nicht durch Instagram realisierbar. Allein mit dem Portfolio eines Möbelherstellers wird man diesen Zustand nicht erreichen können, viel eher bedarf es eines umfassenden Verständnisses der speziellen Büroumgebung.

Atelier Chair by TAF Studio for Artek, as seen at Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Atelier Chair von TAF Studio für Artek, gesehen bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

Florence Knolls Ansatz aus den 1950er-Jahren bleibt im Kern auch heute bestehen, obgleich die Entwicklung des Designverständnisses seitdem bedeutet, dass dieser allein nicht mehr ausreicht. Andrea Branzi sagte im Zusammenhang mit dem Citizen Office, sie hätten während ihrer Zusammenarbeit interessanterweise lange Zeit gar nicht über „das Büro“ gesprochen, wie es ist und wie man es verbessern könnte, sondern beschäftigten sich mit allgemeineren Fragen zu den Themen Stadt und Gesellschaft, Alltag und Technologie2. Die Kombination aus beiden Ansätzen klingt für uns vielversprechend in Bezug auf zukünftige Büroplanungen. Rolf Fehlbaum äußerte sich im Zusammenhang mit dem Citizen Office dahingehend, dass es in der Werbung der Büromöbelhersteller immer heiße, der Mensch spiele die zentrale Rolle, obwohl er in der Realität immer weiter an den Rand gedrängt werde3.

Im Rahmen der in Köln gezeigten Projekte wurden der Bürostuhl Rookie von Konstantin Grcic, Antonio Citterios neue AC 5 Bürostuhlserie und das modulare System Soft Work von Barber & Osgerby präsentiert. Wir hätten es begrüßt, wenn Vitra einige junge Designer, Architekten und/oder Künstler eingeladen und es somit einige vielfältigere, radikalere und weniger Vitra-basierte Ansichten gegeben hätte, die den Ansatz des Unternehmens unterstützt, aber auch zukunftsweisende Ideen eingebracht hätten.

Mehr zu Vitra Work 2018 gibt es auf www.vitra.com/orgatec2018.

1. Rolf Fehlbaum „Ein Projekt mit ungewissem Ausgang“ in Citizen Office. Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt, Alexander von Vegesack [Ed.] Steidl Verlag, Göttingen, 1994

2. Andrea Branzi, „Citizen Office – eine Einleitung“ in Citizen Office. Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt, Alexander von Vegesack [Ed.] Steidl Verlag, Göttingen, 1994

3. Rolf Fehlbaum „Ein Projekt mit ungewissem Ausgang“ in Citizen Office. Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt, Alexander von Vegesack [Ed.] Steidl Verlag, Göttingen, 1994

Rookie by Konstantin Grcic for Vitra, as seen at Orgatec Cologne 2018

Rookie von Konstantin Grcic für Vitra, gesehen auf der Orgatec Köln 2018

Soft Work by Barber & Osgerby for Vitra, as seen in the Shared Office at Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Soft Work von Barber & Osgerby für Vitra, gesehen im Shared Office bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

Soft Work by Barber & Osgerby for Vitra, as seen at Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Soft Work von Barber & Osgerby für Vitra, gesehen bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

Atelier Chair by TAF Studio for Artek, originally developed for the Nationalmuseum, Stockholm

Atelier Chair von TAF Studio für Artek, ursprünglich für das Nationalmuseum Stockholm entworfen

The AC 5 Group by Antonio Citterio for Vitra, as seen in the Company Home by Sevil Peach at Vitra - Work, Orgatec Cologne 2018

Die AC 5 Gruppe von Antonio Citterio für Vitra, gesehen im Company Home von Sevil Peach bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

Rookie by Konstantin Grcic for Vitra, as seen at Orgatec Cologne 2018

Rookie von Konstantin Grcic für Vitra, gesehen auf der Orgatec Köln 2018

Bucking Bronco, Eight by One and whole lot of moulded plywood, as seen at Ron Arad. Yes to the Uncommon!, the Vitra Design Museum Schaudepot

Bucking Bronco (zusammen mit Eight by One und viel verformtem Schichtholz), gesehen in der Ausstellung „Ron Arad. Yes to the Uncommon!“ im Vitra Design Museum Schaudepot. Nicht gesehen bei Vitra – Work, Orgatec Köln 2018

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