#milanuncut: Ein paar Gedanken

#milanuncut

#milanuncut

#milanuncut wurde als ein „experimentelles, kollaboratives Journalismus-Projekt“ angekündigt, das pünktlich zur Möbelmesse Mailand „die Designwelt aufzudecken“ sucht. Im Prinzip läuft das Projekt jetzt auf einen Artikel von Justin McGuirk im Guardian und eine Nebendiskussion zu unbezahlten Praktikanten hinaus.

Leider.

Denn eine offenere Diskussion der Designbranche ist ohne Frage längst überfällig.

Aber #milanuncut beweist sehr schön, dass bevor die Diskussion stattfinden kann, die Teilnehmer bereit sein müssen die Designbranche insgesamt in Frage zu stellen.

Brauchen wir so viele Designstudenten? Brauchen wir so viele Designer? Brauchen wir so viele Produkte? So viele Praktikanten – bezahlt oder nicht?

Natürlich nicht.

Aber der Großteil derer, die sich an der #milanuncut Twitter Diskussion beteiligt haben, scheint hauptsächlich an einer Neuorganisation der Profite innerhalb der bestehenden Branchenstruktur interessiert zu sein als daran, die Branche fundamental umzugestalten in eine nützliche und proaktive Industrie.

Ja ja. Wir wissen schon. Hinter uns steht eine Firma die Designermöbel verkauft. Mit Gewinn.

Aber das heißt nicht automatisch, dass wir neue Stühle, neue Tische und Lampen bis zum Erbrechen wollen.

Wir wollen gute, vernünftige Produkte, die uns etwas Neues bieten und eine Funktion erfüllen – neben der rein ökonomischen.

In seinem Artikel im Guardian erwähnt Justin McGuirk den Tip Ton Chair von Barber Osgerby für Vitra. Ein gutes, vernünftiges Produkt – neu, interessant und nützlich.

Er erwähnt nicht L’Oiseau von den Bouroullecs für Vitra, denn der ist weder gut noch vernünftig.

Letztes Jahr in Mailand hat uns Ronan Bouroullec erzählt, dass sie Weniger aber dafür Besseres machen wollen. Die Enttäuschung im (smow)blog Büro war entsprechend groß als wir die ersten Fotos vom L’Oiseau gesehen haben.

Die größte Schwäche von #milanuncut liegt aber im Fehlen jeglicher Vorschläge wie man vernünftige Einkommen für Designer sicherstellen könnte in einer ökonomisch nachhaltigen Branche.

Weniger Designer die weniger produzieren und dafür aber professioneller?

Ja ja. Wir wissen schon. Als ob verrückte Idealisten wie wir noch einen Platz in unserer oberflächlichen Nabelschau namens Welt hätten.

#milanuncut hat eine App! Wir haben nicht mal ein Gerät, mit dem wir das nutzen könnten!

Also nehmen wir mal an, jeder der sich selbst Designer nennen darf, kann so viele neue Produkte veröffentlichen wie er will, wie können wir dann gute Einkommen für alle garantieren?

Etablierte Designer müssen aufhören, sich mit ihren Waren zu prostituieren.

Nach unserer Erfahrung gibt es zwei Arten von Herstellern: Die, die echtes Interesse daran haben, langfristige Beziehungen mit Designern aufzubauen; und die, die die Namen von etablierten „Stardesignern“  für ihr Marketing benutzen. Bekannte Designer müssen lernen zu unterscheiden. Sie müssen aufhören alles zu akzeptieren, was ihren Weg kreuzt, und eben auch dazu beitragen die Flut sinnloser Produkte die jedes Jahr den Markt überschwemmen zu stoppen. Jobs für verschiedene Hersteller unter allen Umständen? Bitte nur aus den richtigen Gründen!

Wenn wir weniger Marketing-Produkte von den gleichen wenigen großen Namen haben, werden auch jüngere Designer eine Chance haben „… ihre Arbeiten professionell herstellen zu können“ wie es Jason Miller von Roll and Hill formuliert hat.

Produzenten müssen mehr in Neues und weniger in Altes investieren.

In seinem Artikel erklärt Justin McGuirk dass Giulio Cappellini im derzeitigen Klima der Branche keine Karrieren mehr fördern kann wie er es bei den Bouroullecs, Jasper Morrison oder Marc Newson gemacht hat.

Aber das ist Quatsch. Natürlich kann er das.

Die Cappellini Show in Mailand war übersät mit Arbeiten interessanter, talentierter junger Designstudios, die Cappellinin unter seine Fittiche nehmen und promoten könnte.
(Und ein paar sehr lahme Stücke von Jasper Morrison gab es auch.)

Sogar eine Firma wie Cappellini muss sich fragen, ob es sinnvoll ist mit Jasper Morrison eine Lücke im Programm zu füllen.

Akzeptiert die Lücke und investiert das Geld in die Unterstützung eines jungen Designers bei der Entwicklung interessanter Projekte.

Das würde auch Jasper Morrison davon befreien, immer neue Ideen und Konzepte entwickeln zu müssen.

Übernehmt ein paar Methoden der Musik- und Verlagsbranche.

Das Vorschuss-Modell ist vielleicht nicht bei allen gleich beliebt, aber es funktioniert.

80.000 Euro für einen 3-Stühle-Deal? 10.000 Euro für eine Lampe?

Die Idee ist natürlich nicht neu, aber mit solch einem Modell, bei dem der Hersteller im Voraus bezahlt und es dann wieder reinbekommt, würde sich durch das finanzielle Risiko automatisch die Anzahl neuer Produkte reduzieren auf ein überschaubares Level.

Wir hören schon die Gegner rufen: „Ja, aber dann werden wir nur noch sterile und sichere Produkte haben.“

Als ob Mailand 2011 ein Ausbund an grenzwertigen, risikoreichen Stuhlinnovationen und neuer Ästhetik gewesen wäre!

L’Oiseau!

Talentierte Designer werden genau wie talentierte Autoren oder Musiker immer an die Obefläche kommen, da sie etwas zu sagen haben und wissen, wie sie es sagen wollen.

Justin McGuirk schreibt für den Guardian. Wir nicht.

Sicherlich gibt es Produzenten (und die wird es auch immer geben), die nur Produkte herstellen, von denen sie denken, dass sie am Markt funktionieren – oft basierend auf irgendeiner lächerlichen „Trendanalyse“. Sie helfen niemandem außer ihnen selbst. Aber es gibt durchaus auch Hersteller, die etwas tiefer gehen und die langfristigen Vorteile von Innovationen sehen, die bereit sind Risiken einzugehen. Gut durchkalkulierte Risiken zwar, aber immer noch Risiken.

Letzten Endes ist es doch so: Wenn wir die Anzahl der Produkte und Designer begrenzen können, können die verbleibenden Designer auch entsprechend bezahlt werden.
Der Rest kann in anderen Bereichen arbeiten, und in der Freizeit Dinge entwerfen.

Tschuldigung. Niemand hat gesagt, das Leben wäre fair.

Wir finden die Idee hinter #milanuncut interessant und wichtig.

Aber nächstes Jahr sollten im Vorfeld mehr gute Leute an Bord geholt werden und die Diskussion besser moderiert werden.

Von Marcus Fairs kamen ein paar mutige Vorstöße, die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. Das Thema Business-Seminare an Designhochschulen ist auch regelmäßig Gegenstand unserer Reihe (smow)Introducing Interviews und unserer Meinung nach ein schwerwiegender Mangel in der Designausbildung. Aber die meisten wollten nur unbezahlte Praktika diskutieren.

Unbezahlte Praktika sind wirklich übel – egal ob in Design, Journalismus, IT oder wo auch immer Arbeitgeber denken, sie kommen damit durch. Aber diese Diskussion ist ohne Bezug zu dem eigentlichen Thema.

Schade.

Vielleicht nächstes Jahr.

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