„Hej rup! Die Tschechische Avantgarde“ im Bröhan-Museum, Berlin

Man könnte argumentieren, dass das gängige Verständnis und die verbreitete Darstellung der europäischen Avantgarde-Architektur und des Designs der Zwischenkriegszeit dazu neigen, sich auf Deutschland und Russland sowie auf den Funktionalismus zu konzentrieren. Diese populären Schwerpunkte lassen uns oft vergessen, dass die europäische Avantgarde dieser Zeit, ähnlich dem Jugendstil zuvor, eine vielfältige Mischung von Positionen und ein internationales Phänomen darstellte, das durch eine Vielfalt an regionalen Dialekten geprägt war.

Das Bröhan Museum in Berlin bietet mit der Ausstellung „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“ einen Einführungskurs in die tschechoslowakische Zwischenkriegszeit…

Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

“Hej rup! Die tschechische Avantgarde”, Bröhan Museum, Berlin

Die Ausstellung „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“ beginnt konzeptionell mit dem Ankauf einer Sammlung von Stahlrohrmöbeln durch das Bröhan-Museum. Diese Möbel stammen aus den 1930er Jahren und wurden in der damaligen Tschechoslowakei hergestellt. Das Museum entschied sich erfreulicherweise dafür, sie nicht einfach in der Dauerausstellung zu platzieren, sondern eine eigenständige Plattform und Ausstellung zu entwickeln. Dadurch sollen sie im Kontext ihrer Entstehungszeit und der künstlerischen Strömungen, in denen sie entstanden sind, präsentiert werden – nicht in der (relativen) Kontextlosigkeit eines Sockels in der Dauerausstellung. „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“ stellt genau diese Plattform, diese Ausstellung dar.

Die Ausstellung „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“ beginnt chronologisch (im Wesentlichen) im Jahr 1918 mit der Gründung der Tschechoslowakei. Zu der es als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg von 1914-1918 und auf den darauffolgenden Zerfall der einst dominierenden europäischen Reiche kam. Der Ausstellungstitel „Hej rup!“ bedeutet übersetzt „Auf geht’s!“ und verkörpert treffend den Geist dieser Ära des Wandels und des Wiederaufbaus in der neuen Tschechoslowakei. Er spiegelt auch den Geist wider, der unter den tschechoslowakischen Kreativen dieser Zeit präsent war.

Als Ausstellung eröffnet „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“ im Bröhan-Museum mit dem Kubismus. Dieser Zeitpunkt markiert nicht nur den Zeitraum kurz vor der formalen Gründung der Tschechoslowakei, sondern auch den wohl bekanntesten Ausdruck tschechoslowakischer Kreativität in der Zwischenkriegszeit. Der Kubismus stellt dabei das aufschlussreichste Beispiel für einen lokalen Dialekt innerhalb einer internationalen künstlerischen Sprache dar. In der Tschechoslowakei wurden die Ideen von Pablo Picasso, Georges Braque und anderen Künstlern nicht nur in künstlerischen und dekorativen Ausdrucksformen, sondern auch in funktionale und utilitaristische Formen übersetzt – sei es in Möbeln oder Architektur.

Beispiele hierfür sind der Schreibtisch von Josef Gočár aus dem Jahr 1913, die Polstersessel von Pavel Janák und Vlastislav Hofman aus dem Jahr 1912 sowie die vielfältigen Bauprojekte von Künstlern wie Josef Chochol oder Jiří Kroha, die im ersten Kapitel von „Hej rup!“ präsentiert werden. Neben diesen Werken finden sich auch Keramiken von Artěl, die stets willkommen und spannend sind und die Diskussionen über das kreative Schaffen in der Zwischenkriegszeit in der Tschechoslowakei ergänzen.

Darüber hinaus werden Werke von Künstlern wie Václav Špála, Josef Čapek oder Jan Štursa präsentiert. Štursas Skulptur „Raněný, Wounded“ (1916/17) unterstreicht nicht nur poetisch und zeitgemäß das persönliche und gemeinschaftliche, individuelle und soziale Trauma des Krieges, sondern erinnert auch daran, dass der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918, der zur Gründung der Tschechoslowakei führte, gleichzeitig das Ende des Kubismus als internationale Bewegung bedeutete.

Works of Cubist art, including in the middle Jan Štursa's 1916/17 sculpture Raněný, Wounded, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Works of Cubist art, including in the middle Jan Štursa’s 1916/17 sculpture Raněný, Wounded, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Ein Diskurs mit dem Kubismus in der (zukünftigen) Tschechoslowakei führte dazu, dass tschechoslowakische Kreative neue Vorstellungen davon entwickelten, was Kubismus war, sein könnte oder sein sollte. Dieser Diskurs brachte die tschechoslowakische Avantgarde zweifellos und natürlich in Kontakt mit einer Vielzahl von postkubistischen Bewegungen. Genauer gesagt, diese Bewegungen folgten auf den Kubismus und standen im Zusammenhang mit den Erfahrungen, politischen Veränderungen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die der Krieg von 1914-1918 erzwungen hatte.

Eine dieser Bewegungen war der Surrealismus, ein Moment in der europäischen Kulturgeschichte, der, ähnlich wie der Kubismus, seinen Ursprung in Paris hatte. Wie in „Hej rup!“ dargestellt, wurde der Surrealismus in der Tschechoslowakei mit einem vergleichbaren Interesse und einer ähnlichen Intensität wie der Kubismus aufgegriffen. Insbesondere die Werke von Jindřich Štyrský und Toyen bilden den Kern des surrealistischen Kapitels in „Hej rup!“, zusammen mit Werken von František Janoušek, Emil Filla oder Miloš Koreček.

Miloš Korečeks Fokalk-Verfahren, eine Methode, bei der die Gelatine von Fotoplatten verbrannt oder erhitzt wird, bevor aus den beschädigten Stellen Bilder entstehen, zählt zu den spezifisch tschechoslowakischen Ausdrucksformen surrealistischer Positionen. Eine kurze Diskussion über den Surrealismus in der Tschechoslowakei ermöglicht einen Zugang zu Künstlern und Kreativen, die möglicherweise weniger bekannt sind, aber definitiv Beachtung verdienen. Sie bietet einen Einblick in ein wahrscheinlicheres Verständnis der Entwicklung des Surrealismus und ermöglicht zudem eine bessere Nachverfolgung der Entwicklung des tschechoslowakischen kreativen Dialekts in der Zwischenkriegszeit.

Die Kreativität in der Tschechoslowakei bestand nicht ausschließlich aus Pariser Einflüssen, die in einem lokalen Dialekt artikuliert wurden. Wie in „Hej rup!“ sehr elegant dargestellt wird, war die Kreativität der Zwischenkriegszeit in der Tschechoslowakei auch vom Poetismus geprägt – eine Position, die von Karel Teige entwickelt wurde. Karel Teige war eine allgegenwärtige Figur und eine treibende Kraft in der tschechoslowakischen Avantgarde jener Zeit und wird daher in „Hej rup!“ omnipräsent dargestellt.

Der Poetismus wurde in zwei Manifesten von Teige aus den Jahren 1924 und 1928 entwickelt. Kurz zusammengefasst, handelt es sich beim Poetismus um eine Position, die besagt, dass die Kunst nach dem Kubismus nicht länger ausschließlich den Künstlern vorbehalten sein sollte. Sie sollte zu einer alltäglichen Aktivität für jedermann werden. Für Teige bedeutete dies eine bewusste Rückkehr zu einem treueren Verständnis des altgriechischen Begriffs/der Position poíēsis, wobei poíēsis von seiner Assoziation mit „Poesie“ und schriftlichen Ausdrucksformen befreit wurde. Stattdessen wurde poíēsis als Grundlage aller menschlichen Aktivitäten und des menschlichen Lebens betrachtet.

Der Poetismus, wie in „Hej rup!“ diskutiert, stellt in seiner philosophischen und programmatischen Grundlage eines der wichtigsten Merkmale des kreativen Schaffens in der Tschechoslowakei während der Zwischenkriegsjahre dar – ein charakteristisches Merkmal, das andere Avantgarden nicht aufweisen. Die Tatsache, dass viele von Ihnen möglicherweise zum ersten Mal von „Poetismus“ und „Karel Teige“ hören, unterstreicht, wie viel wir alle noch über die kreative Szene der Tschechoslowakei während der Zwischenkriegszeit zu lernen haben.

Works by, and a photo of, Jindřich Štyrský and Toyen, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Werke und ein Foto von Jindřich Štyrský und Toyen, zu sehen in „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“, Bröhan Museum, Berlin

 „Hej rup!“ präsentiert eine Einführung in den Poetismus und zu Karel Teige. Hinzu kommt die Erwähnung der Buchhandlung und des Verlags Odeon in Prag, einem bedeutenden Ort für die Avantgarde. Beispiele von Literatur, die mit avantgardistischen Positionen verbunden waren und von Odeon herausgegeben wurden, werden ebenfalls genannt. Dazu gehören Zeitschriften wie Výtvarné snahy, Weekend oder Revue Devětsilu, sowie ReD, die offizielle Publikation des Kollektivs Devětsil, dem Teige als prägendes Mitglied angehörte. Dieses Kollektiv war in den Anfangsjahren der Tschechoslowakei von großer Bedeutung. Ebenso erwähnt werden Bücher von Egon Erwin Kisch, Zdeněk Rossmann oder Vítězslav Nezval. Eine dieser erwähnten Anthologien ist Žena v množném čísle (Frau im Plural) von 1935, deren Umschlag von Karel Teige gestaltet wurde.

Die Sammlung beinhaltet auch Karel Čapeks Roman/Essay R.U.R. (Rossumovi Univerzální Roboti), eine Erzählung aus den 1920er Jahren über eine utopische Zukunft. Diese Erzählung weist bemerkenswerte Parallelen zur Zukunft auf, die uns allen in den 2020er Jahren versprochen wurde, die aber im Gegensatz zu unserer glorreichen Zukunft natürlich sehr, sehr schief gegangen ist. Die deutschsprachige Bühnenpremiere von R.U.R. im Jahr 1923 bedeutete den internationalen Durchbruch für den ukrainischen Designer und Innenarchitekten Friedrich Kiesler, der eine weitere, jedoch viel zu selten gehörte Stimme der Zwischenkriegsavantgarde darstellt.

Auf R.U.R. werden gleich noch zurückkommen.

Die ersten Kapitel von „Hej rup!“ sind thematisch inszeniert und konzentrieren sich auf die „-ismen“, von denen uns die Dichter eigentlich abbringen wollten. Die späteren Kapitel hingegen behandeln eher einzelne kreative Genres wie Theater, Innenarchitektur, Produktdesign, Fotografie oder Architektur. Dabei wird unter anderem eine informative, zum Nachdenken anregende und befriedigende Gegenüberstellung von Mies van der Rohes und Lilly Reichs Villa Tugendhat in Brünn als außer Kontrolle geratene Dekadenz mit Karel Teiges Buch „Nejmensí byt“ (Die kleinste Wohnung) aus dem Jahr 1932 präsentiert. Letzteres war ein Beitrag zur damaligen Debatte über die Bereitstellung erschwinglicher, menschenwürdiger und hygienischer Wohnungen für alle. Eine Debatte, mit der sich Mies van der Rohe und Lilly Reich nur sehr kurz und sporadisch beschäftigt haben.

Ein weiteres Thema ist die Architektu in Verbindung mit der Entwicklung der Stadt Zlin ab 1925 als Arbeiterstadt für die Bat’a-Schuhfabrik. Diese Stadt wurde im Kontext der rationalen, industriellen und optimierten Positionen der Funktionalisten entwickelt. Sie basierte auf zeitgenössischen Prinzipien der Gartenstadt und beinhaltete die Entwicklung und den Bau von Hochhäusern, die später zu einem zentralen Merkmal der Wohnungsversorgung in der Tschechoslowakei wurden. Das Zlin-Projekt ist nur eines von vielen Beispielen, die in „Hej rup!“ gezeigt werden und verdeutlicht, wie viel wir über die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit lernen können.

Sämtliche Möbel, die in der Ausstellung präsentiert werden, wurden im Zusammenhang mit dem Stahlrohr der damaligen Zeit entworfen. Es handelt sich also jum ene Möbel, mit denen “Hej rup!” konzeptionell begann. Ihre Einordnung inmitten der unzähligen anderen Positionen, Themen und Diskussionen von “Hej rup!” und ihre Platzierung innerhalb der Interdependenzen jener Zeit betonen die Verflechtungen jeder Epoche. Dies unterstreicht, dass ein spezifischer kultureller Ausdruck niemals isoliert auftritt, sondern stets im Kontext der vorherrschenden Realitäten und im Dialog mit anderen Formen des kulturellen Ausdrucks steht.

Dadurch fungiert “Hej rup!”nicht nur als Einführungskurs in die tschechoslowakische Formensprache der Zwischenkriegszeit, sondern auch als Einführung in die Linguistik und die Entwicklung dieser Sprache. Die Ausstellung dient somit auch als Einführung in den tschechoslowakischen Beitrag zur Entwicklung der Architektur- und Designlinguistik im Europa des 20. Jahrhunderts.

A discussion on the Odeon publishing house/bookshop and Poetism, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Eine Diskussion über den Odeon-Verlag/Buchhandlung und den Poetismus, gesehen bei “Hej rup! Die tschechische Avantgarde” im Bröhan Museum, Berlin.

“Hej rup!” beginnt im Wesentlichen mit der Gründung der Tschechoslowakei und endet im Wesentlichen mit ihrem tatsächlichen Untergang in der Form, in der sie wenige Jahre zuvor mit großen Hoffnungen gegründet worden war. Dieser Untergang begann mit der Annexion der sogenannten sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei durch Deutschland ab 1938 und wurde mit dem kommunistischen Putsch von 1948 vollendet. Es war eine Zeit, in der die kreative Avantgarde nicht nur in ihren Freiheiten eingeschränkt wurde, sondern auch zunehmend zerstreut und isoliert war, ähnlich wie in anderen Teilen Europas.

Die neue Realität nach dem kommunistischen Putsch von 1948, wie von den Kuratoren festgestellt, verursachte für viele Kreative existenzielle Probleme. Diese Kreativen hatten lange Zeit von einer sozialistischen oder kommunistischen Utopie geträumt, ähnlich derjenigen, die Čapek in R.U.R. versprochen hatte. Stattdessen wurden sie mit der Realität einer stalinistischen Dystopie konfrontiert, die Čapeks Utopie zur Utopie machte.

„Es war eine Zeit der sowjetischen Vorherrschaft in der Tschechoslowakei und gleichzeitig vergiftete der Eiserne Vorhang den inner-europäischen Diskurs auf beiden Seiten, was dazu führte, dass – ähnlich wie in anderen Teilen Osteuropas – viele Werke, Positionen und Protagonisten in eine relative Anonymität abrutschten. Dies geschah auch aufgrund des allumfassenden undurchdringlichen Schattens, den Deutschland und Russland in der Nachkriegszeit warfen. Diese relative Anonymität wird, wie im Rahmen von “Retrotopia: Design for Socialist Spaces” im Kunstgewerbemuseum, Berlin, diskutiert. Sie führt dazu, dass heute nicht nur die Geschichte des Designs in Ländern wie der ehemaligen Tschechoslowakei relativ wenig gewürdigt wird. Ein Umstand, der wiederum auch zu einer geringeren Wertschätzung des zeitgenössischen Designs in den Ländern der ehemaligen Tschechoslowakei führte.

„Hej rup!“ erinnert uns daran, warum das ein Problem ist, und ermutigt dazu, die Dinge zu korrigieren.

Es ist eine Einladung, ein wenig Tschechoslowakisch zu lernen und damit Ihre Lektüre der Designgeschichte zu bereichern.“

A presentation of photography, and furniture and lighting by Jiří Kroha, Ladislav Žák and an in-house design from Tatra Martin, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

A presentation of photography, and furniture and lighting by Jiří Kroha, Ladislav Žák and an in-house design from Tatra Martin, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Obwohl “Hej rup!” ein Rückblick auf die Kreativität in der Tschechoslowakei in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts darstellt, fokussiert sich die Ausstellung  hauptsächlich auf die tschechische Kreativität. Die Kuratoren betonen, dass der tschechische Teil der Nation viel industrieller war als der agrarische slowakische Teil. Daher war die kulturelle Avantgarde hauptsächlich in Prag und Brünn (und auch Paris) angesiedelt. Das heißt nicht, dass die Slowakei keine Erwähnung findet; sie wird aber nur kurz erwähnt. Beispielsweise durch einen neusilbernen Aschenbecher und eine Kuchenplatte von Bohumil Južnič für den in Dolné Hámre ansässigen Besteckhersteller Sandrik, dessen Geschichte bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreicht. Ebenso gibt es Stahlrohr- und Bugholzsesseln des in Pravenec ansässigen Herstellers Tatra Martin aus den 1930er Jahren: Der Bugholzsessel zeigt eine relative Quadratizität, die sein Konstruktionsprinzip offenbart. Er verdeutlicht, wie sich formale Ausdrucksformen im Laufe der Zeit entwickeln und wohin sie führen. Zudem erinnert er daran, dass ein Großteil der Geschichte von Thonet und Michael Thonet in der späteren Tschechoslowakei stattfand und Thonet daher als Bestandteil der tschechoslowakischen Möbeldesigngeschichte betrachtet werden muss.

“Hej rup!” präsentiert Themen wie ‚Karel Teige‘ und ‚Poetismus‘, die Ihnen wahrscheinlich neu sind. Die Ausstellung ist nicht nur eine Einladung, ein paar Brocken Tschechoslowakisch zu lernen, sondern bietet auch die Möglichkeit, viele Werke und Protagonisten kennenzulernen, die Ihnen unbekannt sind, jedoch von Bedeutung sein könnten.

Abgesehen von dem bereits erwähnten Bugholzstuhl und dem Stahlrohrsessel von Tatra Martin hat uns vor allem der bereits erwähnte kubistische Polsterstuhl von Pavel Janák aus dem Jahr 1912 fasziniert. Dieser wurde von der Prazske umelecke dilny, PUD, realisiert, einer Institution, die, soweit wir es verstehen, ähnlich den Wiener oder Münchner Werkstätten war und damit Teil des Übergangs vom Jugendstil zum Funktionalismus war. Dieses Werk zeichnet sich durch die Rückenlehne aus, die sowohl Funktion als auch Dekoration repräsentiert, und verkörpert somit einen interessanten Moment in der Entwicklung von Gebrauchsgegenständen. Es erinnert daran, welche Bedeutung der tschechoslowakische Kubismus in den kreativen Diskurs einbrachte. Vor allem aber fasziniert dieses Werk durch seine ungewöhnliche Konstruktion: Während die hinteren Beine im Wesentlichen gerade sind, weisen die vorderen Beine einen kleinen nach vorn gerichteten Knick auf. Das ist unkonventionell, keine typische Konstruktion und sieht sehr eigenartig aus – doch es wird angenommen, dass sie funktioniert.

Es gibt auch einen Stuhl und eine Lampe von Jiří Kroha aus den späten 1920er Jahren, beide sind nicht nur äußerst ansprechende Werke, die heute mit einer Frische auf den Markt kommen könnten, die der zeitgenössische Markt ohne in Klischees zu verfallen, nicht aufnehmen kann. Sie weisen auch auf das inkongruente Nebeneinander von geometrischen Formen und idiosynkratischen Entschlüssen der Postmoderne voraus.

A discussion on Czechoslovakian film and theatre and typography, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Eine Diskussion über den tschechoslowakischen Film und das tschechische Theater und die tschechische Typografie, zu sehen in „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“, Bröhan Museum, Berlin

„Wir waren sehr beeindruckt von den zahlreichen ausgestellten Stahlrohrmöbeln, von denen viele oder sogar alle den Ausgangspunkt für “Hej rup!” bildeten. Leider haben wir weder Zeit noch Platz für eine ausführliche Besprechung der Werke. Dennoch möchten wir an dieser Stelle festhalten, dass der Umfang und die Vielfalt der Präsentation verdeutlichen, warum wir von der Klassifizierung der Stahlrohrmöbel als ‚Bauhaus‘-Möbel abweichen müssen. Denn sie gehören nicht zum Bauhaus-Stil, sondern repräsentieren vielmehr Möbel aus der Zwischenkriegszeit. Dies erfordert eine Neubewertung der Geschichte von Stahlrohrmöbeln jenseits der gängigen Erzählung.

Wir möchten auf die in die Tische integrierten Aschenbecher hinweisen, die nicht nur eine erfreuliche Erinnerung an die Zeit ihrer Schöpfung und an die Verbindung zwischen Möbeln und ihrem Alter darstellen, sondern auch eine interessante Perspektive auf die Funktion eines Tisches bieten. Ebenso ist der Konstruktionsschwerpunkt vieler Stühle bemerkenswert – sie akzeptieren die Eigenschaften von Stahlrohrmöbeln und entscheiden sich dann für eine humorvolle Umsetzung, wie dies bei zwei Freischwingern von Karel E. Ort für das Prager Unternehmen Hynek Gottwald der Fall ist.

Beachten Sie auch die gefalteten Stahlblech-Armlehnen des Stuhls 525 von Josef Havlíček für S.R.O. Prague, die auf die Leder-Armlehnen eines Kaare Klint verweisen und zugleich auf humorvolle Weise darüber hinwegsetzen, während sie ein starkes Argument für Metall als bessere Alternative zu Leder liefern.

Ein 525er Freischwinger aus dem Jahr 1932 erinnert mit seiner quadratischen Basis daran, dass Mart Stam im Juni 1932 das künstlerische Urheberrecht für den kubischen Freischwinger erhielt und dadurch andere Konstrukteure und Hersteller zu mehr Kreativität bei der Gestaltung von Stahlrohr-Freischwingern zwang. Dies wirft die Frage auf, ob der bereits erwähnte Stahlrohr-Loungesessel von Ladislav Žák für Tatra Martin aus dem Jahr 1931 unter Stams Patent fällt. Unsere Einschätzung: Nein, obwohl es sich um eine freitragende, elastische Sitzlösung handelt. Aber ist er kubisch? Und ist er ein Freischwinger?“

Nachdem Sie solche Werke gesehen und studiert haben, nachdem Sie sich durch die Kapitel von “Hej rup!” gearbeitet haben und ein wenig Grundwissen über die tschechoslowakische Zwischenkriegszeit erlangt haben sowie begonnen haben, Ihre irrationale Angst vor ungewohnten diakritischen Zeichen zu überwinden, können Sie Ihre frisch erworbenen Sprachkenntnisse mit in die Dauerausstellung des Bröhan-Museums nehmen. Dort können Sie sich mit den ausgestellten Werken auseinandersetzen, über die vertraute Geschichte der Kreativität in der Zwischenkriegszeit nachdenken und diese in Ihrem einfachen Tschechoslowakisch statt im normalerweise besser geübten Deutsch oder Russisch betrachten. So können Sie beginnen, die Geschichte des Designs in Europa im Zusammenhang mit der Tschechoslowakei zu sehen, anstatt die Tschechoslowakei im Kontext des übrigen Europas zu betrachten.

A discussion on the city of Zlin, as seen at Hej rup! The Czech Avant-Garde, Bröhan Museum, Berlin

Eine Diskussion über die Stadt Zlin, gesehen bei „Hej rup! Die tschechische Avantgarde“, Bröhan Museum, Berlin

„Es handelt sich um eine intelligent konzipierte und gut durchdachte Ausstellung, die trotz ihrer relativen Kürze – notwendig aufgrund der Anzahl der zu behandelnden Themen – nicht nur ein besseres Verständnis für die kreativen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Tschechoslowakei in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ermöglicht, sondern auch ein realistischeres Verständnis der Netzwerke und Diskurse, die die Kreativität in der Tschechoslowakei und in Europa in dieser Zeit vorantrieben.

Sie erinnert uns dringend daran, unseren Blick über die etablierten Perspektiven von Architektur und Designgeschichte hinaus zu erweitern. Wir sollten die Grenzen und Probleme unserer etablierten, westlich fokussierten Zusammenfassung von Designgeschichte anerkennen und versuchen, die Erzählung zu erweitern.

Diese Mahnung wird von “Hej rup!” vermittelt, ohne zu predigen oder zu bevormunden, sondern durch die ruhige Art und Weise, in der sie sich präsentiert. Eine Mahnung, die jedoch sehr betont wird.

Für alle ist “Hej rup!” ein Anstoß, die tschechoslowakische Sprache der Zwischenkriegszeit über das Niveau hinaus zu entwickeln, das ein Einführungskurs erreichen kann, und zu versuchen, die tschechoslowakische Sprache der Zwischenkriegszeit besser zu beherrschen.

Worauf warten Sie? Hej rup!!!!

Die Ausstellung “Hej rup! Die Tschechische Avantgarde” ist noch bis Sonntag, 3. März, im Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, 14059 Berlin, zu sehen.

Zusätzlich ist ein Katalog, ein Lehrbuch für Fortgeschrittene, mit Essays zu einigen der in der Ausstellung behandelten Themen erhältlich.

Bis Sonntag, den 21. Januar, können Sie außerdem ‚Haël. Margarete Heymann-Loebenstein und ihre Werkstätten für dekorative Keramik 1923-1934‘ sehen, eine weitere, viel zu selten gezeigte Perspektive auf die Kreativität der Zwischenkriegszeit.

Alle Einzelheiten, einschließlich Informationen über das begleitende Rahmenprogramm, finden Sie unter www.broehan-museum.de

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