Passagen Interior Design Week Köln 2024: Karoline Fesser – Chemical Connection

Chemical Connection by Karoline Fesser (in cooperation with Karl Weber), as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection von Karoline Fesser (in Zusammenarbeit mit Karl Weber) ist während der Passagen Interior Design Week 2024 in der Buchhandlung Siebter Himmel zu sehen.

Wir sind sicher, dass es Karoline Fesser nicht stört, wenn wir anmerken, dass sie seit ihrem Debüt im Jahr 2012 ein alter Hase auf der Kölner Passagen Interior Design Week ist; und wenn es Sie stört, dann tut es uns leid! Aber jetzt haben wir es geschafft!

Trotz der Regelmäßigkeit ihrer Auftritte vermittelt ihr Werk niemals ein Déjà-vu-Gefühl. Es fehlt jegliche dumpfe Leblosigkeit, die Räume heimsucht, die vom Fluch der Wiederholung betroffen sind. Stattdessen bringt Karoline Fessner jedes Jahr etwas Neues und Frisches hervor, das dennoch zu Karoline Fessner passt.

Ein Beispiel dafür ist auch bei den Passagen 2024 zu sehen, wo Karoline in der Buchhandlung “Siebten Himmel“ des selbsternannten Belgischen Viertels das Projekt “Chemical Connection” präsentiert. Beachtenswert ist dabei, dass es sich nicht um ein belgisches Projekt handelt. Dieses Projekt wurde in Zusammenarbeit mit dem Keramik-Ingenieur Karl Weber entwickelt und beschäftigt sich mit Kristallporzellanglasuren. Genauer gesagt, wird die Kombination verschiedener Glasuren mit Metalloxiden auf farbigem Porzellan untersucht.

Wir ersparen Ihnen die chemischen Details, laden Sie jedoch herzlich ein, sich selbst ein Bild zu machen. Uns war der Besuch eine echte Freude! Wir wollen uns hier auf die Ergebnisse konzentrieren, die als scheinbar willkürliche, zufällige Muster erscheinen. Diese Muster erinnern an Formen aus den Bereichen Botanik, Kosmologie, Mykologie und Kristallologie. Auch Jugendstilelemente sind zu erkennen. Nicht, dass wir Karoline Fesser vorwerfen würden, dem Jugendstil verfallen zu sein – im Gegenteil! Einige der Exponate, die im Siebten Himmel präsentiert werden, erinnern jedoch stark an florale Kunstwerke von Johann Lötz Witwe, Emile Gallé oder deren Zeitgenossen. Doch es handelt sich um gänzlich neue Interpretationen von Tieren, Pflanzen und anderen Elementen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Vertreter des Jugendstils bewusst versuchten, die florale Welt als ihre zentrale Inspiration zu nutzen. Im Gegensatz dazu sind die floralen Formen von Chemical Connection nicht das Hauptmotiv des Projekts. Die floralen, kosmologischen, kristallinen und pilzartigen Formen entstehen nämlich vielmehr auf natürliche Weise aus den Glasurprozessen.

Diese Formen sind also das Ergebnis einer Art von Magie.

Chemical Connection by Karoline Fesser (in cooperation with Karl Weber), as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection von Karoline Fesser (in Zusammenarbeit mit Karl Weber), zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

OK, keine Magie.

Die Muster sind auch nicht zufällig oder willkürlich entstanden, sondern, so muss man annehmen, ein unveränderliches Ergebnis der Mathematik. Es handelt sich um Formen, die sind, wie sie sein müssen, Formen, die nicht anders sein können. So wie die entsprechenden, die analogen, die tatsächlichen Formen in und aus der Natur und dem Kosmos. Hier liefert uns Karoline Fesser eine Erinnerung daran, dass die natürliche und physische Welt nicht vollständig unter unserer Kontrolle steht, egal wie sehr wir uns das vormachen und wie sehr die Vertreter des Jugendstils das tatsächlich geglaubt haben mögen. Wir werden daran erinnert, dass das Leben auf der Erde und die Organisation und das Funktionieren des Kosmos durch Modelle und Regeln strukturiert werden, die wir nicht kennen, nicht identifizieren und nicht notieren können, was uns verdeutlicht, dass wir als Spezies absolut nichts wissen, für so klug wir uns auch halten mögen. Hier entsteht ein Bild der menschlichen Existenz in einem integrierten System, das sich unserer Kontrolle entzieht, und dieses Bild wird in Form eines höchst ansprechenden, praktischen und einfachen Bechers bzw. einer Vase geliefert.

Während die Jugendstil-Künstler danach strebten, Objekte zu schaffen in dem sie natürliche Motive als Grundlage für Objekte und Produkte verwendeten, die für die zeitgenössische Gesellschaft angemessen und bedeutungsvoll sind, versucht Fesser hier, den Geist und die Sehnsüchte der Zeit in Haushaltswaren einzufangen. Bei Chemical Connection geht es in erster Linie um die Forschung, darum, neue Ansätze für die Porzellanglasur auszuprobieren und zu sehen, welche Ergebnisse dabei herauskommen, und wohin diese Ergebnisse später führen. Das Projekt ist spekulativ und ergebnisoffen. Ja, es könnte zu Produkten führen, und das, was im Siebten Himmel gezeigt wird, deutet sehr darauf hin. Die bisher realisierten Ergebnisse und Ausdrucksformen präsentieren sich nicht nur mit der Suggestion einer physikalischen Tiefe, die einen buchstäblich in sich hineinzieht, sondern auch mit einer extrem reduzierten Rationalität, und das trotz ihres unübersehbaren, ornamentalen, dekorativen Charakters. Die Genese der Formen aus der schlichten Komplexität der Mathematik verleiht den Werken eine Ehrlichkeit und Integrität, die die Jugendstil-Künstler nur selten erreichten, da sie versuchten, das, was nicht natürlich war, als Natur darzustellen. Chemical Connection stellt das Natürliche so dar, als ob es künstlich wäre. Und auch, oder vielleicht gerade deshalb, verfügen diese  Formen und Muster, die sich mit einer Wirkung jenseits des Physischen und Praktischen präsentieren, über eine unmittelbare und sehr reizvolle Anziehungskraft. Wir stoßen hier auf einnehmende Porzellanoberflächen, die den ansonsten banalen Gegenständen eine erhöhte Interaktionsebene verleihen. 

Eine Interaktion, die wohl den Geist und die Sehnsüchte der Zeit ebenso verkörpert wie es bei Werken des Jugendstils der Fall ist; die aber die direkte Wiederholung der physischen Ausdrucksformen der Natur, eine in vielerlei Hinsicht naive Herangehensweise an die Beziehungen zur natürlichen Welt, durch Ausdrucksformen ersetzt, die die Komplexität bestätigen, von der wir alle wissen, dass sie da draußen ist. Jene Komplexität, die wir alle versuchen, aus dem täglichen Leben auszublenden, von der wir aber alle irgendwie wissen, dass sie uns helfen kann, wenn wir lernen können, mit ihr zu arbeiten, anstatt zu versuchen, sie zu beherrschen und nutzbar zu machen. Wenn wir das menschliche Ego zugunsten des Gemeinwohls loslassen können.

Auf diese Weise könnte spekulative Forschung, dzu Produkten führen, die für die heutige Gesellschaft ebenso angemessen und sinnvoll sind, wie es die Objekte des Jugendstils wohl waren.

Aber das ist nicht die Motivation von Karoline Fesser.

Chemical Connection by Karoline Fesser (in cooperation with Karl Weber), as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection von Karoline Fesser (in Zusammenarbeit mit Karl Weber), zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

„Chemical Connection“ ist nicht das erste Projekt mit Porzellanglasur, das wir gesehen haben, bei weitem nicht. Es ist ein beliebtes und wiederkehrendes Thema unter Kreativen aller Couleur. Die Art und Weise, in der es, wie wir annehmen, eine unendliche Anzahl von nicht wiederholbaren Ergebnissen aus nichts anderem als den unveränderlichen, mathematischen Regeln des Universums hervorbringt, ermöglicht und befähigt, hat etwas sehr Erfreuliches und Befriedigendes. Die darin enthaltene Möglichkeit, ein solches System einzusetzen, eröffnet die Realisierung einer unendlichen Sammlung einzigartiger Objekte durch groß angelegte Serienproduktion. Diese handwerkliche Sensibilität im industriellen Maßstab ist für ein Zeitalter relevant, das mehr verlangt als die profitorientierte Monotonie des Kapitalismus, wie es von und durch „The Series“ diskutiert und auf der Vienna Design Week 2024 präsentiert wurde. Dabei muss man auch hinzufügen, dass der/die Prozess(e), wie man sehen kann, bei einfachen Formen sehr zufriedenstellend funktioniert. Die Frage, wie das Verfahren bei komplexeren Formen funktioniert, bleibt dagegen noch unbeantwortet. Möglicherweise haben sich Karoline Fesser und Karl bereits an die Beantwortung dieser Frage gemacht. Wir vermuten und hoffen es und sind sehr gespannt auf die Ergebnisse – unabhängig davon, wie sie ausfallen.

Darüber hinaus gibt es auch etwas sehr Erfreuliches und Befriedigendes in dem, was „Chemical Connection“ uns über die Rolle und Funktion von Porzellanglasuren lehren kann. Diese Aufklärung zeigt, dass Glasuren nicht nur dekorativ und technisch funktional sind, sondern auch emotional funktional, eine immaterielle Wirkung haben. Damit verbunden ist eine Erinnerung daran, dass die Geschichte der Keramik auch eine Geschichte der Oberflächenbehandlung ist, ein Thema, das auch in der Ausstellung “Haël. Margarete Heymann-Loebenstein und ihre Werkstätten für Zierkeramik 1923-1934” im Bröhan-Museum, Berlin diskutiert wird. Insbesondere im Kontext der Zusammenarbeit zwischen Margarete Heymann-Loebenstein und Franz Eggert, zwischen einer Gestalterin und einem Techniker. Auf diese Weise kann man besser verstehen, dass formale Positionen und Materialentwicklungen zweifellos den Weg der Keramik stark beeinflusst haben. Aber auch neuartige Glasuren und Glasurtechniken spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt deshalb, weil Glasuren im Zusammenhang mit der Art und Weise, wie wir auf Keramik reagieren und mit ihr interagieren, über das rein Physische hinaus eine zusätzliche Ebene der Interaktion einführen. Dieser Zusammenhang wird bei „Chemical Connection“ sehr deutlich.

Das Projekt ist außerdem sehr erfreulich und befriedigend, weil es in der Tat eine Vereinigung von Handwerk, Design und Wissenschaft darstellt, und damit ein hervorragendes Beispiel für die unbestreitbare Wahrheit ist, dass alle drei für sich genommen ohne Frage wichtig sind, aber zusammen etwas Größeres sein können als die Summe ihrer Teile. Wir glauben nicht, dass die Jugendstil-Künstler das verstanden haben. Sie waren wahrscheinlich nicht einmal daran interessiert.

Chemical Connection by Karoline Fesser (in cooperation with Karl Weber), as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection von Karoline Fesser (in Zusammenarbeit mit Karl Weber), zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Neben „Chemical Connection“ zeigt der Siebte Himmel auch eine kleine Werkschau von Karoline Fesser, die im Rahmen eines Projekts mit dem Glaskulturzentrum CIAV in Meisenthal, Frankreich, entstanden ist: die Hausberg Vase und den Lava Kerzenständer, den All Wood Stool und den Hide Beistelltisch, beide von HEM, sowie den Urban Forest Lounge Chair und den U Hocker/Bank/Beistelltisch, beide in Zusammenarbeit mit Tischlern des Werkraums Bregenzerwald, Österreich.

Es handelt sich um Objekte, die nicht nur alle für sich charmante, kommunikative und reaktionsfähige Charaktere sind, sondern die es erlauben, Karolines Positionen, Ansätze und Relevanz besser zu verstehen. Und ihre langjährige Zusammenarbeit mit der Passagen Interior Design Week Köln……

„Chemical Connection“ und der kurze Rückblick auf Karoline Fessers Arbeit waren bis Freitag, 18. Januar, im Siebten Himmel, Brüsseler Str. 67, 50672 Köln, zu sehen…

… die harte Realität jeder Designwoche ist, dass sie vorbei ist, bevor sie begonnen hat. Jedenfalls bevor wir dazu kommen, etwas zu posten. Weitere Informationen zu Karoline Fesser und „Chemical Connection“ sowie zum Rest des Portfolios finden Sie unter www.karolinefesser.de

Works by Karoline Fesser, as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Arbeiten von Karoline Fesser, zu sehen im Siebten Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Hide side table by Karoline Fesser through HEM, as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Hide Beistelltisch von Karoline Fesser durch HEM, zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Urban Forest lounge chair by Karoline Fesser, as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Urban Forest Loungesessel von Karoline Fesser, zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Hausberg Vase by Karoline Fesser through Müllernkontor, as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Hausberg Vase von Karoline Fesser durch Müllernkontor, zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

All Wood Stool by Karoline Fesser through HEM, as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

All Wood Stool von Karoline Fesser durch HEM, zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

U stool/bench/side table by Karoline Fesser, as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

U von Karoline Fesser, zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection by Karoline Fesser (in cooperation with Karl Weber), as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection von Karoline Fesser (in Zusammenarbeit mit Karl Weber), zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection by Karoline Fesser (in cooperation with Karl Weber), as seen at Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

Chemical Connection von Karoline Fesser (in Zusammenarbeit mit Karl Weber), zu sehen bei Siebter Himmel, Passagen Interior Design Week 2024

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