smow Blog Interview: Sabine Epple – Die Grassimesse sollte ein Pulsmesser für neue Tendenzen sein

Hervorgegangen aus den Diskursen der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts über Produktion, Materialien, Formen und Beziehungen zu unseren Gebrauchsgegenständen etablierte sich die Leipziger Grassimesse1 im Kontext der Industrialisierung Deutschlands und der Globalisierung Europas sowohl bei Avantgardisten als auch bei traditionell orientierten Künstlern recht schnell. Sie wurde zu einer der interessantesten und wichtigsten internationalen Plattformen für Diskurse in den 1920er und 1930er Jahren.

Dann kam, wie so oft in der deutschen Geschichte, die NSDAP, der Krieg und die DDR. Obwohl es Veranstaltungen unter dem Namen „Grassi“ gab, machten die politische Entwicklung und insbesondere die politische Einmischung sowohl der Nazis, als auch der DDR Regierung, es unmöglich diese Veranstaltungen als “Grassimessen” im ursprünglichen Sinne der Zeit vHervorgegangen aus den Diskursen der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts über Produktion, Materialien, Formen und Beziehungen zu unseren Gebrauchsgegenständen etablierte sich die Leipziger Grassimesse im Kontext der Industrialisierung Deutschlands und der Globalisierung Europas sowohl bei Avantgardisten als auch bei traditionell orientierten Künstlern recht schnell. Sie wurde zu einer der interessantesten und wichtigsten internationalen Plattformen für Diskurse in den 1920er und 1930er Jahren.

Dann kam, wie so oft in der deutschen Geschichte, die NSDAP, der Krieg und die DDR. Obwohl es Veranstaltungen unter dem Namen „Grassi“ gab, machten die politische Entwicklung und insbesondere die politische Einmischung sowohl der Nazis, als auch der DDR Regierung, es unmöglich diese Veranstaltungen als “Grassimessen” im ursprünglichen Sinne der Zeit vor den 1940er Jahren einzustufen. So war die Grassimesse für viele Jahre ein abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte Leipzigs, bevor das Grassi Museum der Nachwendezeit die Grassimesse im Jahr 1997 aus ihrem unfreiwilligen Schlummer erweckte.

Seit dem Jahr 2000 findet die Grassimesse unter der Leitung von Sabine Epple, der Kuratorin der Sammlung Moderne des Museums für Angewandte Kunst, wieder statt. Wir trafen uns mit ihr zu einem Gespräch über das Museum, die Messe, die Entwicklung seit 1997 und auch über die bevorstehende Grassimesse 2023.

Sabine Epple, Modern Collection a the Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig, and since 2000 Grassimesse Project Manager

Sabine Epple, Kuratorin Sammlungen Moderne am Grassi Museum für Angewandte Kunst, Leipzig, und seit 2000 Projektleiterin der Grassimesse

smow Blog: Vielleicht als kurze Einführung: Was ist Ihr Hintergrund, wie verlief Ihr Weg zum Grassi Museum für Angewandte Kunst?

Sabine Epple: Ich bin seit 1991 hier, ich habe beinahe direkt nach meinem Studium angefangen. Ich habe Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Deutsche und Vergleichende Volkskunde in München studiert. Dann kam ich mit meinem Mann nach Leipzig und hatte das große Glück, hier eine Stelle zu finden. Anfangs war ich für mittelalterliche Schnitzplastik und Möbel zuständig, was mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ende der 90er Jahre gab es jedoch eine Umstrukturierung, und die damalige Direktorin wusste von meiner Vorliebe für zeitgenössisches Kunsthandwerk und Design, da ich zu dieser Zeit auch intensiv an einem Projekt über Verner Panton arbeitete. Seitdem bin ich für Design und Kunsthandwerk des 20. und 21. Jahrhunderts verantwortlich.

smow Blog: Verner Panton ist zwar nicht das Hauptthema, aber da wir gerade dabei sind, was fasziniert Sie an Panton?

Sabine Epple: Einerseits fand ich ihn immer sehr spannend, weil er oft in die Ecke der Pop Art gestellt und nicht als funktionalistisch betrachtet wurde, was jedoch nicht der Wahrheit entspricht. Panton behauptete stets, er entwerfe nur Dinge von großem Nutzwert. Seine Verwendung von Farben und seine Sensibilität für Farbe waren bemerkenswert. Seine schrillen Designs wurden oft nicht als funktional angesehen, aber er gestaltete immer unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Menschen. Andererseits fand ich es faszinierend, wie ganzheitlich er an Raumgestaltung heranging und Räume inszenierte. Ich hatte auch das Glück, ihn persönlich kennenzulernen. Ich fuhr fast jedes Wochenende nach Basel und durfte dort in seiner Wohnung und dem Archiv arbeiten. Er war ein äußerst sympathischer, jedoch sehr zurückhaltender Mann – immer in leuchtendem Blau (passend zu seinen Augen) gekleidet.

smow Blog: Verner Panton ist ein Thema, über das wir den ganzen Tag mit Ihnen diskutieren könnten, und wir werden sicherlich noch darauf zurückkommen. Aber zurück zum Thema: Als Sie 1991 ins Museum kamen, wo lag damals der Schwerpunkt der Sammlung?

Sabine Epple: Um das zu verstehen, muss ich ein wenig weiter ausholen. Zu DDR-Zeiten hatte das Museum erhebliche Schwierigkeiten. Es gab viele Hindernisse, und ein großer Teil des Gebäudes wurde vom Leipziger Baukombinat genutzt. Das Museum war stark eingeschränkt, in baulich schlechtem Zustand und hatte daher Schwierigkeiten, seine Sammlungen konservatorisch richtig unterzubringen. Die Räumlichkeiten waren beschränkt und noch nicht saniert, daher war es schwierig, Neuzugänge zu verarbeiten und sicher zu deponieren. Als ich anfing, waren die historischen Möbel im ersten Foyer oben wie in einer Wagenburg aufgestellt, und das Möbelmagazin verdiente diesen Namen nicht. Es ist verständlich, dass die Kollegen damals relativ wenig gesammelt haben. Dennoch kam natürlich einiges ins Museums: viele Arbeiten zeitgenössischer Glas- und Keramikkünstler und zeitgenössische Textilien, auch historisches Kunsthandwerk.
Design war jedoch kein Schwerpunkt.

smow Blog: Bedeutet das, es gab kein Produktdesign aus der DDR?

Sabine Epple: Kaum, mit Ausnahme einiger Belegexemplare der ostdeutschen Keramikindustrie. Von einer DDR-Designsammlung kann man kaum sprechen. Das änderte sich erst in den 1990er Jahren.

smow Blog: Auch das ist ein Thema, über das wir ausführlich sprechen könnten, und vielleicht werden wir darauf zurückkommen. Aber springen wir ins Jahr 1997 und zum Neustart der Grassimesse. Woher kam die Idee, der Impuls?

Sabine Epple: Der neugegründete Freundeskreis des Grassimuseums für Angewadnte Kunst und die Familie Goerdeler standen dahinter. Carl und vor allem seine Frau Anneliese Goerdeler2 waren in den 1930er Jahren sehr verbunden mit unserem Haus. Wir hatten großen Respekt vor der historischen Grassimesse, die in den 1920er und 1930er Jahren ein internationales Aushängeschild des Museums war. Die Zeiten hatten sich jedoch geändert, und Messen sahen inzwischen anders aus. Wir konnten sie nicht mehr zweimal im Jahr veranstalten und uns nicht an die große Leipziger Messe anhängen.3 Es gab viele Überlegungen und Zweifel, aber im Nachhinein hat sich der Neustart gelohnt.

smow Blog: Als Projektleiterin haben Sie zweifellos Ihren Beitrag zum Erfolg der Grassi Messe geleistet. Wie sehen Sie die Grassimesse und was sollte sie Ihrer Meinung nach repräsentieren?

Sabine Epple: Für mich sollte sie eine internationale Plattform sein, die alle Bereiche von kunstvollen Handwerksarbeiten bis hin zum Design abdeckt, auch in konzeptioneller Hinsicht. Sie sollte ein Pulsmesser für neue Tendenzen sein, aber immer auch eine Verkaufsmesse. Die höchste Qualität und Breite des Spektrums ist entscheidend, auch für die Besucher.

smow Blog: Hat sich die Veranstaltung rund 25 Jahre nach ihrem unsicheren Start 1997 verändert?

Sabine Epple: Der Schwerpunkt lag immer auf dem Kunsthandwerk, aus verschiedenen Gründen. Künstler und Künstlerinnen haben die Idee, die Ausführung und die Vermarktung in einer Hand. Wir sind jedoch für alles offen und würden uns mehr Design wünschen. Die Grassimesse hat sich im Laufe der Zeit zu einem experimentelleren Format entwickelt. Die Arbeiten, die heute auf der Grassimesse ausgestellt werden, sind meiner Meinung nach mutiger. Die zunehmende Digitalisierung hat dazu geführt, dass Menschen wieder den Wunsch haben, Objekte haptisch und sinnlich zu erleben und eine Verbindung zu den Menschen herzustellen, die sie entworfen und produziert haben. Das ist auf der Grassimesse sehr wichtig. Es gibt immer wieder intensive Gespräche an den Ständen.

smow Blog: …und das auch, weil die Aussteller nach Gesprächen suchen?

Sabine Epple: Ja, immer mehr Künstler und Künstlerinnen wollen sich hier präsentieren, ohne unbedingt den Verkauf in den Vordergrund zu stellen. Das hat zugenommen, seitdem wir die Grassimesse auch in die Räume der ständigen Ausstellung integriert haben. Viele Aussteller haben genaue Vorstellungen, denken sich ein spezielles Konzept für Ihre Präsentation aus, das finde ich großartig. Das bringt eine neue Dimension in die Veranstaltung

smow Blog: Und das ist wahrscheinlich eine Veränderung, die sich auch auf die Beziehung zum Museum auswirkt und möglicherweise die Bindung zwischen Museum und Messe vertieft?

Sabine Epple: Genau. Es fällt auf, dass Aussteller den Dialog mit den alten Kunstwerken suchen, aber auch die Besucher, die zur Grassimesse kommen, sehen die alten Kunstwerke plötzlich mit anderen Augen. Es gibt einen Perspektivenwechsel, wenn die Grassimesse eine andere Sicht auf die alten Objekte ermöglicht. Das ist optimal. Es ist auch ein Aspekt, über den ich nachdenke: Wo stellt jemand aus? Entstehen Dialoge oder vielleicht Kontrapunkte, die schön und anregend sind? Gibt es thematische Korrespondenzen oder geht es über das Material?

smow Blog: In diesem Zusammenhang haben Sie auch erwähnt, dass einige Aussteller um bestimmte Flächen in der Dauerausstellung bitten? Versuchen Sie, solchen Wünschen nachzukommen?

Sabine Epple: Ich bin nicht die Kuratorin, die sagt, was wo ausgestellt wird. Ich möchte immer in Kommunikation mit den Ausstellern arbeiten, ihnen zuhören und ihre Ideen berücksichtigen. Wir können jedoch nicht alle in die Dauerausstellung integrieren. Aber dieses Jahr haben noch mehr Aussteller Interesse daran signalisiert als im letzten Jahr gemeldet, und fast jeder verfügbare Platz wird genutzt.

smow Blog: Das wird spannend. Die Grassimesse besteht jedoch nicht nur aus ausgewählten Ausstellern, sondern seit den 1920er Jahren auch aus Design- und Kreativschulen, die ihre Arbeiten präsentieren. Warum beteiligen sich Schulen, und warum ist es Ihnen wichtig, dass Schulen teilnehmen?

Sabine Epple: Die Hochschulen erweitern unser Spektrum und ermöglichen es, Themen außerhalb einer Verkaufsmesse zu präsentieren. Dies verleiht der Grassimesse immer wieder ein neues Gesicht. In diesem Jahr möchten wir die Zusammenarbeit mit den Hochschulen weiter vertiefen. Die Veranstaltung „Universitiy Insights“ ist als kleine Tor angedacht, bei der die verschiedenen Hochschulen alle halbe Stunde über ihre Projekte sprechen, und es wird die Möglichkeit geben, ins Gespräch zu kommen. Das ist meiner Meinung nach auch für die Studierenden sehr wertvoll. Es ist oft das erste Mal, dass sie auf ein gemischtes Publikum treffen und mit ihnen über ihre Arbeit sprechen. Wir wollen sie dabei unterstützen.

smow Blog: Und das trägt wahrscheinlich auch dazu bei, die Schulen mehr in den Fokus zu rücken. Müssen sich die Schulen genauso bewerben wie die anderen Aussteller?

Sabine Epple: Die Schulen werden eingeladen. Wir haben natürlich ein großes Netzwerk auf das wir zurückgreifen können. Gerne fragen wir Jurymitglieder, die oft Dozenten an Hochschulen sind. Wenn wir Sie zur Jurymitarbeit anfragen bringen wir gleichzeitig den Wunsch an ihre neuesten Semesterprojekte zu zeigen. Zum Beispiel haben wir dieses Jahr Semesterprojekte der Hochschule Wismar und ein Projekt von Mathias Gschwendtner von der Universität der Künste Berlin, ein Vorschlag der über Prof. Axel Kufus kam. Auch ehemalige Juroren und Partner aus früheren Jahren melden sich regelmäßig und fragen, ob sie die Gelegenheit für eine interessante Präsentation erhalten können. Aber auch ich gehe auf mögliche Partner zu und erkundige mich nach Ideen und Möglichketen. Dadurch ergibt sich jedes Jahr ein neues Bild und andere Schwerpunkte.

smow Blog: Erlauben Sie uns eine Frage im Zusammenhang mit den Studierenden: der Grassi Nachwuchspreis ist nur für Studierende an der Burg Giebichenstein gedacht. Warum gibt es diese Einschränkung?

Sabine Epple: Der Geschäftsführer von Culturträger, Michael Berninger, hat den Nachwuchspreis vor vielen Jahren ins Leben gerufen. Er wollte die enge Verbindung zwischen der Burg Giebichenstein und dem Museum vertiefen. Die Verbindung besteht schon seit Jahrzehnten, aber mit dem Nachwuchspreis wollte er junge Designerinnen und Designer enger an das Museum binden. Jedes Jahr wird eine aktuelle Abschlussarbeit der Burg Giebichenstein ausgezeichnet, angekauft und in unsere Sammlung aufgenommen. Wir suchen immer nach Projekten, die in den kommenden Jahren in Ausstellungen integriert werden können. Das ist uns sehr wichtig, damit bleibt das Museum stets im Kontakt mit jungen Designgeneration. Gleiches gilt für andere Einkäufe auf der Grassimesse. Wir haben das Glück, auf der Grassimesse einkaufen zu können, unser Freundeskreis und weitere Förderer unterstützen uns dabei, Künstler und Künstlerinnen durch Ankäufe zu motivieren. Wir überlegen stets, wie ein Objekt in zukünftigen Ausstellungen gezeigt werden kann, um neue Themenfelder zu eröffnen. Es ist wichtig, dass die Objekte nicht im Depot verschwinden, sondern immer wieder neu eingebracht werden.

smow Blog: Sie haben vor dem Relaunch der Grassimesse gesagt, dass es ungewiss ist, ob man an die Grassimesse der 1920er und 30er Jahre anknüpfen kann. Natürlich ist es sehr schwierig, solche Vergleiche anzustellen, aber ist die Grassimesse 2023 ein guter Jahrgang?

Sabine Epple: Ein sehr guter! Wir hatten Glück, dass wir die Messe auch in den Jahren als Corona wütete durchführen konnten, aber die Bewerbungszahlen hatten aufgrund der Pandemie einen kleinen Rückgang zu verzeichnen. In diesem Jahr sind die Bewerbungen jedoch enorm gestiegen. Es freut mich besonders, dass viele neue Aussteller dabei sind, auch viele internationale, die sich zum ersten Mal beworben haben und nun ausstellen dürfen. Ich denke, der neue smow Designpreis hat viele dazu ermutigt, sich anzumelden. Es freut mich auch, dass wir Aussteller dabei haben, die vor 10, 15 oder 20 Jahren das letzte Mal teilgenommen haben, sich aber jetzt erneut beworben haben. Auch die Alchimia Schmuckschule aus Florenz war zuletzt 2010 hier, hat aber angefragt, ob sie wiederkommen können, und wir haben klar Ja gesagt. Es wird wieder ein frisches Bild geben und viele Facetten sowie eine sehr hohe Qualität geboten Ich sage das jedes Jahr, aber 2023 ist wirklich ein besonders guter Jahrgang!

Die Grassimesse 2023 findet am Wochenende vom 20. bis 22. Oktober im Grassi Museum für Angewandte Kunst, Johannisplatz 5-11, 04103 Leipzig, statt.

Weitere Details finden Sie unter: www.grassimesse.de

Und für alle, die nicht dabei sein können, gibt es ja noch den smow Blog!

1. Wie immer ist „Grassimesse“ ein zeitgenössischer Begriff, die Veranstaltungen vor 1940 hatten verschiedene formale Titel, aber der Einfachheit halber bezeichnen wir alle als „Grassimesse“, unabhängig davon, wie ihr tatsächlicher Titel lautete.

2. Carl Goerdeler war von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig. Nach seinem Rücktritt wurde er eine wichtige Figur im innerdeutschen antifaschistischen Widerstand und wurde im Februar 1945 von den Nazis ermordet, nachdem er am 20. Juli 1944 an einem Komplott zum Sturz Hitlers beteiligt war. Seine Frau Anneliese, ihre Kinder und andere Verwandte wurden anschließend in verschiedenen Konzentrationslagern interniert. Weitere Informationen über Carl und Anneliese Goerdeler und die Stiftung der Familie finden Sie unter www.goerdeler-stiftung.de

3. Die Grassimesse entstand im Wesentlichen als Reaktion auf die Produkte, die auf der alle zwei Jahre stattfindenden Leipziger Messe, damals eine der wichtigsten europäischen Messen, präsentiert wurden, und zwar als Universalmesse alten Typs, auf der Waren aller Art und Gattungen vorgestellt wurden, und nicht als moderne Fachmesse. Und eine Veranstaltung, die im Frühjahr 1991 zum letzten Mal stattfand.

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