Frauen im Design: Designerinnen und ihre Arbeiten, die man kennen sollte
Möbelikonen und ihre Designerinnen
Wussten Sie, dass einige der erfolgreichsten Möbeldesigns aus weiblicher Hand stammen? Besonders die Möbeldesignwelt wird von einigen Visionärinnen maßgeblich geprägt, die immer wieder mit ihren Besonderheiten, Persönlichkeiten, Entwicklungen oder auch Umständen beeindrucken, allerdings oft nur im Stillen. Oft ist der gar nicht bekannt, inwiefern eine Frau ein Kunst- oder Möbelstück gestaltet oder in welchem Umfang sie genau in diesem kreativen Prozess unterstützt hat.
Die Zeiten, als sich Charlotte Perriand 1927 im Büro von Le Corbusier und Pierre Jeanneret vorstellte und sie mit dem Satz abgefertigt wurde „Wir sticken hier keine Kissen!“, sind vorbei. Dennoch sind auch heute Frauen in Führungspositionen in der Designbranche eine Rarität. Zeit, das zu ändern und die Leistungen der Designpionierinnen und ihre immensen Persönlichkeitsentwicklungen zu würdigen, von den Möbeldesign-Errungenschaften ganz abgesehen. Für moderne und zeitlose Ästhetik, inspiriert von weiblicher Stärke und Schönheit, stehen Designerinnen, wie Ray Eames, Constance Guisset, Hella Jongerius, Eileen Gray oder Charlotte Perriand, um nur einige aufzuzählen. Wir stellen Ihnen herausragende Desinerinnen in Verbindung mit ihren Interior-Arbeiten vor, die oft sogar schon Möbeldesigngeschichte geschrieben haben.
► Charlotte Perriand (1903 – 1999)
► Ray Eames (1912 – 1988)
► Eileen Gray (1878 – 1976)
► Kajsa Strinning (1922 – 2017)
► Anna Castelli-Ferrieri (1920 – 2006)
► Dorothee Becker (1938 – 2023)
► Cecilie Manz (1972 – )
► Lilly Reich (1885 - 1947)
Hand aufs Herz – haben Sie nicht auch schon einmal in dem berühmten Sessel LC2 (mittlerweile unter dem Namen 2 Fauteuil Grand Confort bei Cassina geführt) mit den wiedererkennbaren Stahlrohr-Details gesessen? Die gedankliche Verbindung, die man oder auch frau automatisch zu Le Corbusier als Designer des begehrten Möbelstücks schlägt, wird aber bei Weitem nicht den Leistungen von Charlotte Periand gerecht, die sich in Gemeinschaftsarbeit mit dem großen Kreateur Le Corbusier darin verewigt hat. Perriands Expertise beeinflusste das gemeinsame Schaffen maßgeblich. Sie verbesserte und glaubte an die Utopie vom "neuen Menschen", auch durch die Gestaltung einer freundlichen Lebensumgebung. Die heutige Teamarbeit gefiel ihr schon damals, weshalb die Pionierin des Alltagsdesigns oft verzichtete, als Urheberin der revolutionären Möbel, die heute Ikonen des zeitgenössischen Möbeldesigns sind, genannt zu werden: Bescheidenheit und Leidenschaft vor Ego.
Ray Eames (1912 – 1988)
„Was gut funktioniert, ist besser als das, was gut aussieht, denn was gut funktioniert, ist langlebig.“
Das Künstlerpaar Ray & Charles Eames sind wahre Designikonen. Ray aber lief immer unter dem gleichen „Firmennamen“ wie ihr Mann und steht noch heute oft in seinem Schatten, wenn es um die Entwürfe der beiden Designer geht. Dabei unterstützte Ray ihren Mann nicht nur – sie selbst kreierte Möbelstücke und Interior Accessoires und stand auf Augenhöhe neben ihm. Sie war mit ihrem guten Auge für Form und Farbe maßgeblich für die bekannte Eames-Ästhetik verantwortlich, für die die Möbel noch heute stehen und die ihren Wert ausmachen.
Eileen Grays Adjustable Table E 1027 gehört zu den meistkopierten Möbelstücken der Geschichte. Er ist ein Paradebeispiel für die klassische Moderne und seine unzähligen Nachahmungen sind wohl die höchste Form eines Kompliments an die irische Künstlerin.
Eileen Gray schaffte es, trotz der von Männern dominierten Zwanziger tatsächliche Erfolge zu feiern. Sie schockierte die Menschen gleichermaßen mit ihren Möbelentwürfen und verfolgte das Ziel, Möbel zu entwerfen, die in die Zeit passten.
Die eigensinnige Architektin ist heute mehr denn je für die klaren Linien ihrer Möbelstücke bekannt, die durch das charakteristische Zusammenspiel von Chrom, Stahlrohr und Glas noch heute sinnbildlich für die klassische Moderne sind und um die sich auch auf Auktionen nach wie vor gerissen wird.
Kajsa Strinning (1922 – 2017)
Erst in den 2000er Jahren, über 50 Jahre nach der Veröffentlichung des String Regals, wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt, dass hinter dem international gefeierten Designklassiker String nicht nur ein Mann, sondern mit Kajsa Strinning auch eine Frau stand. Kajsa Strinning studierte von 1941 bis 1946 Architektur an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm, wo sie ihren Mann Nisse Strinning kennenlernte. Ende der 1940er Jahre arbeiteten die Strinnings gemeinsam am Entwurf eines Bücherregals für eine Wettbewerbsausschreibung des schwedischen Verlags Bonniers folkbibliotek. Ihr Entwurf, das String Regalsystem, gewann den Wettbewerb und entwickelte sich schnell zu einem internationalen Erfolg.
Unter dem Dach der 1952 gegründeten Unternehmen String Design AB und Swedish Design AB entwarfen Nisse und Kajsa Strinning viele weitere Möbeldesigns. Aber nur Nisse Strinning ging in den folgenden Jahrzehnten als einer der bekanntesten Vertreter des modernen dänischen Designs in die Geschichte ein. Die Rolle von Kajsa Strinning wurde hingegen lange Zeit unterschätzt, obwohl insbesondere sie durch Konstruktionszeichnungen die Arbeit der Strinnings dokumentierte und dafür sorgte, dass Entwurfsideen ausgearbeitet und verfeinert wurden. Kajsa Strinning war außerdem eine produktive Künstlerin, deren Zeichnungen und Malereien auf zahlreichen Ausstellungen gezeigt wurden. Im Jahr 2017 verstarb die Designerin, Künstlerin und Architektin im Alter von 95 Jahren.
Der runde Beistellcontainer Componibili, dem immer wieder sein kultiger Ruf vorauseilt und der für viele Kinder in ihren Kinderzimmern wohl schon den Beginn einer gewissen Möbeldesignaffinität darstellen dürfte, stammt aus der Feder der Italienerin Anna Castelli-Ferreri. Wussten Sie, dass auch sie es war, die den italienischen Hersteller Kartell gründete? 1949 etablierte Anna gemeinsam mit ihrem Mann Guido Castelli den Möbelhersteller Kartell. Guido war Chemiker, Anna Architektin - eine Win-Win-Situation also. Gemeinsam machten sie Kartell zum weltweit führenden Hersteller in Design und Herstellung von Kunststoffmobiliar. Ab den Sechzigerjahren wurde Anna selbst als Möbeldesignerin tätig und fand Freude am Experimentieren mit dem Material Kunststoff. Weltweit bekannt wurde sie mit dem Beistellcontainer-Baukastensystem „Componibili".
Ende der 1990er Jahre entdeckte Vitra einen Designklassiker der Pop-Ära wieder: Das Aufbewahrungssystem und Wandregal Uten.Silo von Dorothee Becker. Die Neuauflage verhalf der 1938 in Aschaffenburg geborenen Designerin zu einem späten Revival und zu ihrem einzigen, kommerziell erfolgreichen Design. Laut ihrer Tochter Claude Maurer seien die Lizenzgebühren zudem eine willkommene Einnahme gewesen, da Dorothee Becker von einer kleinen Rente lebte. Über die Frage, ob Dorothee Beckers Laufbahn einen anderen Weg genommen hätte, wäre sie nicht als alleinstehende Mutter für ihre Familie verantwortlich gewesen, lässt sich heute nur spekulieren. Fest steht, dass sie 1969, inspiriert von einem Spielzeug aus Holz, das sie für ihre Kinder entworfen hatte, ein Aufbewahrungsregal aus formbaren Plastik entwarf. Das Regal wurde 1969 auf der Frankfurter Messe unter dem Namen Uten.Silo präsentiert, die Produktion jedoch aufgrund der steigenden Rohstoffpreise durch die Ölkrise in den 1970er Jahren eingestellt.
Dorothee Beckers Tochter Claude Maurer bezeichnete ihre Mutter als Feministin. In ihrem Nachruf heißt es: „Sie (…) legte großen Wert darauf, dass ihre Töchter nicht zu ,Mädchen in Rosa‘ dressiert wurden.” und weiter: “Nach der sehr belastenden Scheidung nutzte sie ihren ausgeprägten Sinn für Ästhetik und ihr Talent und eröffnete ein Geschäft in München-Schwabing, da sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder (anteilig) selbst verdienen musste.” Besagtes Geschäft führte Dorothee Becker unter dem Namen ihres Designs "Uten.Silo" bis 1989. Dort verkaufte sie Alltagsgegenstände und Designobjekte für Haus & Garten sowie eine sorgfältig ausgewählte Sammlung von Kunstpostkarten.
Bevor Cecilie Manz 1998 ihr eigenes Studio in Kopenhagen eröffnete, absolvierte die dänische Designerin ein Studium an der Royal Danish Academy of Fine Arts und studierte an der University of Art and Design in Helsinki. Inzwischen zählt sie zu den erfolgreichsten Frauen in einem noch immer von Männern dominierten Bereich.
Der Lebensweg von Cecile Manz sowie ihr Umgang mit Farben, Strukturen, Proportionen und Materialien ist geprägt von ihrer Leidenschaft für die bildende Kunst. Auch die Werke der großen Männer der Kunst dienen ihr als Inspirationsquelle für ihre Designs. Caravaggios Kontraste und Constantin Brâncușis Volumen finden so beispielsweise mit der Caravaggio Leuchte und der Brancusi-Pendelleuchte leichtfüßig ihren Weg in zeitgenössische, minimalistische Alltagsgegenstände.
Cecilie Manz hat mit zahlreichen renommierten Herstellern wie Fritz Hansen, Iittala, Bang & Olufsen oder Nils Holger Moormann zusammengearbeitet und internationale Auszeichnungen erhalten. Ihre Arbeiten sind in Ausstellungen großer Institutionen zu sehen und in wichtigen Designsammlungen wie der des Museum of Modern Art in New York und des Design Museums Danmark vertreten. Neben einer breiten Palette an Produktdesigns – dazu gehören Möbel genauso wie Leuchten oder Arbeiten aus Glas – entwirft Cecilie Manz auch experimentelle Prototypen und skulpturale Einzelstücke.
Lilly Reich , 1885 in Berlin geboren, war eine bedeutende Designerin der Moderne, deren Werk oft im Schatten ihrer männlichen Kollegen stand. Reichs Karriere begann mit einer Ausbildung zur Kurbelstickerin und führte sie später zu den Wiener Werkstätten unter Josef Hoffmann. 1911 gründete sie in Berlin ihr eigenes Atelier für Innenarchitektur, Kunstgewerbe und Mode, wo sie innovative Arbeiten schuf, die in der von Männern dominierten Branche jedoch eine Ausnahme blieben. Der Durchbruch gelang Reich durch die Zusammenarbeit mit dem Architekten Mies van der Rohe ab 1924. Gemeinsam gestalteten sie wichtige Projekte wie die Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ 1927 und die Deutsche Bau-Ausstellung 1931. Unter Reichs künstlerischer Leitung des deutschen Auftritts auf der Weltausstellung 1929 in Barcelona entstand der berühmte Barcelona-Sessel, der jedoch oft ausschließlich Mies van der Rohe zugeschrieben wurde. Diese Ungerechtigkeit ist auf die damalige patriarchalische Gesellschaftsstruktur und wohl auch auf die persönliche Haltung Mies van der Rohes zurückzuführen.
Ein Großteil von Reichs Archiv wurde 1945 bei einem Bombenangriff auf Berlin zerstört, während Mies van der Rohes Archiv, auch dank Reichs Engagement, erhalten blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Reich für den Wiederaufbau des Deutschen Werkbundes ein, starb jedoch 1947, zwei Jahre nachdem sie eine Professur in Berlin angenommen hatte. Trotz der Schwierigkeiten, mit denen sie als Frau zu ihrer Zeit konfrontiert war, wird ihr Beitrag zur modernen Designgeschichte zunehmend anerkannt, insbesondere ihre innovativen Arbeiten im Bereich der Innenarchitektur und des Möbeldesigns. Posthum wurde ihr 1996 eine Sonderausstellung im MoMA in New York gewidmet, die ihre bedeutende Rolle in der Designgeschichte würdigte.