(smow) Blog Designkalender: 3. Februar 1898 – Happy Birthday, Alvar Aalto!

„Eine der typischen Aktivitäten in moderner Architektur ist die Konstruktion von Stühlen und die Verwendung neuer Materialien und Methoden. Der Stahlrohrstuhl ist von einem technischen und konstruktiven Standpunkt aus sicher sinnvoll: Er ist leicht, für die Massenproduktion geeignet usw. Aber Stahl- und Chromoberflächen sind aus menschlicher Sicht nicht zufriedenstellend. Stahl ist ein zu guter Wärmeleiter, die Chromoberfläche reflektiert zu stark das Licht und auch akustisch ist es nicht für einen Raum geeignet. Die vernunftsmäßigen Methoden beim Kreieren dieses Möbelstils waren auf der richtigen Spur, aber das Ergebnis kann nur gut sein, wenn die Rationalisierung mit einer Materialauswahl umgesetzt wird, die der menschlichen Verwendung entspricht.“

Alvar Aalto, „The Humanizing of Architecture – Functionalism must take the human point of view to achieve its full effectiveness“  Technology Review, Volume 43, Number 1, November 1940, Cambridge, Massachusetts.

Geboren am 3. Februar in Kuortane, Finnland, wuchs Hugo Alvar Henrik Aalto in der südfinnischen Stadt Jyväskylä auf, bevor er 1916 nach Helsinki zog, um Architektur an der Technischen Universität zu studieren. Nach seinem Abschluss 1921 verbrachte der junge Alvar Aalto zwei Jahre „on the road“, einschließlich Phasen in Helsinki, Stockholm, Göteborg und Tallinn, bevor er 1923 nach Jyväskylä zurückkehrte, wo er sein erstes Studio eröffnete, erste nennenswerte Projekte abschloss und seine erste Frau und Geschäftspartnerin, die Architektin Aino Marsio, heiratete. 1927 zogen die Aaltos nach Turku und 1933 dann nach Helsinki. Von seinem Büro in Helsinki aus realisierte er über 400 Architektur-, Ausstellungsdesign- und Interiordesignprojekte in Finnland, Europa und darüber hinaus. Daneben war er als Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) tätig. Alvar Aalto starb am 11. Mai 1976 in Helsinki.

Alvar Aalto

Alvar Aalto 1898-1976

Obwohl er in erster Linie ein Architekt war, ist Alvar Aalto heutzutage für seine Möbel berühmt – vor allem für seinen Beitrag zur Entwicklung des Möbeldesigns des 20. Jahrhunderts. Wobei seine ersten Möbeldesigns nicht erahnen ließen, was da noch kommen sollte. Überwiegend für Interiordesignprojekte entwickelt, gingen Alvar Aaltos frühen Möbeldesigns auf Nummer sicher, indem sie die vertraute Formensprache der Zeit beibehielten und sich z.B. von rustikalem Amerikana, traditionellen Handarbeiten aus England und Neoklassischem aus Schweden inspiriert zeigten.

Wie bei Alvar Aaltos Architektur war auch für den neuen, heute bekannten, Stil seiner Möbeldesigns erst seine Hinwendung zum Funktionalismus notwendig. Wir waren nicht da, wir können nicht genau sagen, was passiert ist, aber allem Anschein nach fand der Wechsel 1927 ganz plötzlich, „wie durch einen Zauber“1, statt. Und während es fraglos verschiedene Gründe für Aaltos Sinneswandel gab, scheint die Weißenhofsiedlung Stuttgart eine besonders wichtige Rolle gespielt zu haben. Aalto hat Stuttgart selbst nie besucht, aber einige seiner Kollegen waren dort und das hat ihn verschiedenen Berichten zufolge stark beeinflusst.

Unabhängig warum, die Wandlung kam genau rechtzeitig. 1929 gewann Aalto den Wettbewerb für einen Komplex einer neuen Lungenheilanstalt in Paimio, Finnland mit einer Konstruktion, die die Ideale und Prinzipien des Funktionalismus nicht nur eleganter und expliziter ausdrückt als jedes andere skandinavische Gebäude dieser Zeit, sondern auch für Aaltos funktionalistische Philosophie steht, nach welcher Funktionalität auf den Nutzer und nicht, wie bei so vielen anderen funktionalistischen Bauten, auf Maschinen und Wirtschaft gerichtet sein soll. Als Projekt etablierte Paimio zum einen Aaltos Ruf als Architekt und schenkte der Welt zum anderen ihre ersten wirklich revolutionären Möbelstücke von Alvar Aalto.

Nach seiner Bekennung zum Funktionalismus begann Alvar Aalto mit Möbelideen von den führenden modernen Designern zu experimentieren, vor allem der Bauhäusler. Dabei blieb er jedoch unbeeindruckt von dem allgegenwärtigen Stahlrohr, das sich bei der Mehrheit der bekannten Objekte wiederfand.

Was uns natürlich zurück zum Zitat vom Anfang und der Notwenigkeit „einer Materialauswahl […], die der menschlichen Verwendung entspricht“, zu rationalisieren, bringt.

Für Alvar Aalto war die Antwort in den Birkewäldern Finnlands zu finden und konsequenterweise setzte er sich selbst das Ziel, „moderne Stühle mit den gleichen Qualitäten wie jene Stahlrohrmöbel, aber ausschließlich aus Holz, einem Material mit angenehmen haptischen Eigenschaften“2 zu machen.

Beim Paimio Projekt war Aaltos Motivation mit Holz zu arbeiten unmittelbarer: „Die ersten Versionen waren aus Metall; doch wir wechselten schnell zu Holz, weil uns die mit Nickel und Metall überzogenen Stahlmöbel zu hart für eine Umgebung von Kranken vorkamen. Also begannen wir mit Holz zu arbeiten und dieses wärmere und biegsamere Material zu benutzen, um Möbel zu schaffen, die den Kranken mehr entsprechen.“3

Aus einer Fülle von Objekten, die für das Paimio Sanatorium entstanden sind, ist der wichtigste und berühmteste der sogenannte Paimio Chair, ein Objekt, das heute über Artek als Sessel 41 verkauft wird. Eine optische Reminiszenz an Marcel BreuerWassily SesselJean ProuvéCité oder sogar Josef Hoffmanns Sitzmaschine von 1908, ist der Paimio Chair im wesentlichen ein kubisch gebogener Birkenrahmen, in den eine elegant geschwungene gebogene Sperrholzsitzschale eingehängt ist. Ganz abgesehen davon, dass der Paimio Chair ein technisches Meisterwerk ist, der die Grenzen von dem, was mit gebogenem Holz möglich war, verschob und so eine neue Welt der Möglichkeiten eröffnete; mit seiner reduzierten, offenen Form kann der Paimio Chair auch als Inbegriff der neuen Ästhetik, die von der modernen Bewegung propagiert wurde, verstanden werden. Und von einer reinen Produktdesignperspektive muss man auch bemerken, dass der Winkel der Rückenlehne – angeblich – so gesetzt wurde, dass er Tuberkuloseerkrankten optimalen Komfort bietet. Angeblich deshalb, weil wir keine Bestätigung dieser Behauptung von Alvar Aalto selbst, sondern nur aus Sekundärquellen finden konnten.

 Alvar Aalto Paimio Chair

Paimio Chair von Alvar Aalto

Inspiriert vom technischen Erfolg des Paimio Chairs machte Alvar Aalto damit weiter einen Freischwinger aus gebogenem Sperrholz zu entwickeln, der heute als Sessel 42 über Artek vertrieben wird, bevor er seine präziseste und vollständigste Arbeit realisierte, den dreibeinigen Hocker 60. Oder besser gesagt, das L-Bein entwarf, das sich schließlich zum dreibeinigen Hocker 60 entwickelte. Wir beschrieben die Geschichte bereits im Kontext der Ausstellung im Ungers Archiv für Architekturwissenschaften Köln 2013.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hörte Alvar Aalto zugunsten seiner Architekturprojekte mit dem Möbeldesign auf und den paar Stücken, die er nach dem Krieg geschaffen hat, fehlt es an dem Pioniergeist seiner Arbeit aus den 1930er Jahren. Doch trotz der Tatsache, dass Alvar Aaltos Experimente und Entdeckungen auf dem Gebiet des Holzbiegens nur ein halbes Dutzend Jahre dauerte, inspirierte es sowohl seine Zeitgenossen als auch spätere Designer. So auch Charles und Ray EamesEgon EiermannEero SaarinenArne Jacobsen

Und auch jeder Besuch einer aktuellen Studentenausstellung beweist die Bedeutung Alvar Aaltos und seines Vermächtnisses.

Das Vermächtnis hat für uns seinen Ursprung in den Eindrücken eines Architekturkritikers, J.M. Richards, der seine Reaktion auf Aaltos Möbel in einer Londoner Ausstellung 1933 folgendermaßen beschrieb: „Die Möbel hatten eine Frische und Plötzlichkeit, die von seiner gewagten Erkundung neuer Techniken geleitet war. Es hatte Witz, was einer ungewöhnlichen direkten Verbindung zwischen Mittel und Zweck geschuldet war. Es war originell, nicht weil es sich darum bemühte, sondern weil die grundlegenden Gesichtspunkte ernsthaft bedacht wurden. Aaltos Persönlichkeit zeigt ebenso eine frische Scharfsinnigkeit und Originalität und die Gründe sind die selben.“4

Alles Gute zum Geburtstag, Alvar Aalto!

1. Göran Schildt, „The origin and modernity of Alvar Aalto’s furniture“ in Aalto Interiors 1923-1970, Alvar Aalto -museo, Jyväskylä, 1986

2. ebd.

3. Werner Blaser, „Alvar Aalto als Designer“, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1982

4. J.M. Richards „A visit in the thirties“ in Alvar Aalto 1898 – 1976, The Museum of Finnish Architecture, Helsinki, 1978

Alvar Aalto 60 stool

Hocker 60 von Alvar Aalto über Artek. Hier bei der Ausstellung Hocker 60 von Alvar Aalto im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft Köln.

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